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Verbrannte Erde-Berlinale 2024

STIMME DER HAUPTSTADT

Mišel Matičević (© still: Reinhold Vorschneider/Schramm Film)

Der 1962 geborene Regisseur Thomas Arslan ist so etwas wie ein Stammgast bei der Berlinale.

Mit seinen Werken „Der schöne Tag“ und den beiden Wettbewerbsfilmen „Gold“ (2013) sowie „Helle Nächte“ (2017) war der gebürtige Braunschweiger bereits zu Gast bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin.

Bei den 74. Filmfestspielen in Berlin zeigt man in der Sektion Panorama sein Drama „Verbrannte Erde“. Der Film hat eine Länge von 101 Minuten.

Besetzung: Misel Maticevik als Trojan, Marie Leuenberger in der Rolle der Diana, den Victor stellt Alexander Fehling dar, als Luca ist Tim Seyfi zu sehen. Ferner wirken mit: Bilge Bingül (Chris), Marie-Lou Sellem (Rebecca), Katrin Röver (Claire), Anja Schneider (Nadja), Tamer Yilgit (Can) und Leonard Proxauf (Bob).

Zwölf Jahre lang ließ sich Thomas Arslan Zeit, seine Trojan-Trilogie fortzusetzen. Der erste Film mit Trojan hieß „Im Schatten“. 12 Jahre auf die Fortsetzung zu warten ist aber kein „Beinbruch“. Des Rätsels Lösung: Trojan verbrachte einige Jahre im „Knast“. Nach der Haftentlassung musste er eine Ruhephase einlegen, um sich zu sammeln und, auch das gehört zur Wahrheit des wohl nicht therapierbaren Gangsters: Ein neues Ding zu drehen. Natürlich, wie immer: todsicher. Meistens landen seine todsicheren Coups aber vor den Richter, der Trojan wieder zu langen Haftstrafen verknackt. Kreislaufwirtschaft der besonderen Art. Coup-Verhaftung-Urteil-Gefängnis-Entlassung. Das Rad des Lebens dreht sich so für Trojan. Er ist weder willens noch fähig, einen Job im Büro oder in einer Fabrik anzunehmen und sich vom Vorarbeiter rumscheuchen zu lassen! Bei Coups ist er der Boss, sobald Mittäter ins Spiel kommen; oder Trojan dreht das Ding alleine.

Eines Tages also kehrt der Berufskriminelle Trojan zurück, auf der Suche nach neuen „Aufträgen“. Das Geld ist ihm ausgegangen, Trojan benötigt frisches. Berlin hat sich in der Zwischenzeit stark verändert, zudem sind seine alten Kontakte nicht mehr so ergiebig. „Berufskollegen“ sind verstorben, sitzen hinter Gittern noch für lange Zeit oder haben sich aus Altersgründen, manchmal auch aus Einsicht, aus dem kriminellen Milieu zurückgezogen. Der schweigsame Trojan, der sich darauf spezialisiert hat, nur Bargeld-Jobs durchzuführen, merkt jedoch, dass dies in einer zunehmend digitalisierten Welt schwieriger wird. Nach einiger Zeit bietet ihm die Vermittlerin Rebecca die Möglichkeit, an einem lukrativen Job teilzunehmen: der Diebstahl eines Gemäldes von Caspar David Friedrich aus einem Museum in Berlin. Trojan schließt sich für dieses Vorhaben mit der Fluchtfahrerin Diana, seinem ehemaligen Weggefährten Luca und dem jungen Chris zusammen. Zunächst scheint das Projekt vielversprechend zu verlaufen. Doch der undurchsichtige Auftraggeber Victor hat eigene Pläne für das Gemälde, und bald geht es nicht mehr nur um das Geld, sondern vor allem darum, mit dem Leben davonzukommen.

So sehr der ehrbare Zeitgenosse auch den Kriminellen Trojan verachten mag, man hat es mit einem vorsichtigen, ehrbaren Täter zu tun! Sollte man eines Tages wirklich einmal das Opfer eines Raubes werden, wünscht man sich so einen Täter wie den Trojan! Gewalt gegen Opfer, die er ausraubt, ist für einen wie ihn ein Tabu. Der sonst so schweigsame Verbrecher sagt den im Museum tätigen Sicherheitsleuten und Restaurateuren: „Ihr wollt doch alle zurück zu Euren Familien. Also legt Euch hin! Mit dem Gesicht nach unten! Macht keine Faxen! Ihr habt es bald überstanden“. Die Opfer gehorchen. Ein bei einem Überfall erbeutetes Handy, eine Goldkette, ein Auto, Tasche usw. kann man ersetzen. Bekommt das Opfer eines Raubüberfalls hingegen einen Messerstich oder eine Kugel ab und muss den Rest seines Daseins im Rollstuhl verbringen, ist die Lebensqualität sehr stark eingeschränkt! Trojan achtet seine Opfer! Er beleidigt sie nicht, er quält sie nicht, er amüsiert sich nicht an ihrer Todesangst Der Verbrecher redet mit sanften Worten auf seine Opfer ein. Er will sie ja nicht ausrauben, er will sich ein Kunstwerk aneignen. Die Handys der Museumsmitarbeiter nimmt er zwar an sich, aber nur um sie an einer anderen Stelle im Museum abzulegen. Er zerschneidet die Leitungen des Festnetzes, da weder Festnetz noch Handys vorhanden sind auf die Schnelle, können die Überfallenen die Polizei nur mit Verzögerung informieren. Trojan geht dafür um so härter mit Seinesgleichen um! Ein Hehler trifft sich mit ihm in einer Gaststätte. Trojan will bei einem Einbruch erbeutete Armbanduhren absetzen. Der Hehler, sonst immer ein „Unterwelts-Kaufmann“ mit Anstand gewesen, bringt einen „Mitarbeiter“ ins Gasthaus mit. Auf Trojans Frage, was das soll, antwortet der Hehler: „Habe meinen Führerschein verloren. Er ist mein Fahrer“: Trojan riecht sofort den Braten. Er sagt dem Fahrer: „Du wartest in der Gaststätte“! Trojan geht mit dem Hehler zum Parkplatz und öffnet den Kofferraum seines Autos, um die Uhren zu präsentieren. Er sieht, wie der zweite Mann sich an der Wand des Gasthauses zum Auto anschleichen will. Trojan fordert den Hehler auf, den Kasten mit den Uhren aus dem Kofferraum zu nehmen. Als dieser sich bückt, schlägt Trojan brutal mehrfach mit der Kofferraumtür auf den Schädel und den Rücken des Hehlers ein, der vor Schmerzen stöhnt. Mit einer Waffe in der Hand fordert Trojan den angeblichen Chauffeur auf, sich hinzulegen! „Gesicht nach unten, sonst knallt´s“!

Mit dem großen Umschlag, in dem sich das Bargeld für die Uhren befinden soll, rast er davon. Im Hotelzimmer stellt er enttäuscht fest: Nur der erste und der letzte Schein ist für ihn brauchbar. Dabei handelt es sich um Geld. Dazwischen liegt Papier. Als Trojan sich vor 12 Jahren aus Berlin verabschieden musste, galt unter Kriminellen das Ehrenwort und der Handschlag noch etwas. Man konnte sich auf seine Zunft verlassen damals. Ein Verpfeifen bei der Polizei, ein über das Ohr hauen des „Kollegen“ war eine „große Sünde“. Heute ist sich jeder selbst der Nächste. Trojans Hirn arbeite blitzgescheit im Eiltempo. Er weiß, bei diesen abartigen Halunken zählt ein Menschenleben gar nichts. Er legt sich eine schusssichere Weste zu und ist noch vorsichtiger als sonst schon. Täglich wechselt er das Hotel. Um keine Spuren zu hinterlassen, zahlt er immer an der Rezeption eine Nacht im Voraus. Wie ein einsamer Wolf verlässt er frühmorgens das Hotel auf leisen Sohlen.

Wie gemeingefährlich das Milieu geworden ist in den 12 Jahren seiner Abwesenheit, zeigt sich auch daran: Der Auftraggeber des Bilderklaus gesteht einem seiner Burschen, die für ihn Botendienste verrichten müssen: „Denkst Du denn wirklich, ich wollte das doofe Schwein je bezahlen? So blöd bin ich nun wieder auch nicht!“ Trojan ist das Trüffelschwein! Er hat wie das besagte Schwein die Aufgabe, Trüffeln zu finden. Die Edeltrüffel ist das Kunstwerk. Das Trüffelschwein bekommt niemals eine Trüffel zum Verzehr angeboten. Der Bauer zieht es am Nasenring durch den Wald und verkauft die wertvollen Trüffeln an Feinkostläden und Restaurants. Da wollen Spitzenkriminelle Trojan sozusagen am Nasenring durch das Museum zerren. Diese Verbrecher nehmen auch keine Rücksicht auf das Leben der Mittäter des Trojans. Wenn die halt den Aufenthaltsort der anderen Mittäter und das Versteck des Bildes nicht mitteilen wollen, schneidet man dem betreffenden Mann die Kehle durch und hat alles gefilmt auf dem Handy. Man sucht einen weiteren Kumpel von Trojan auf und zeigt ihm das Video.

Trojan muss auch erfahren, dass es in dem ehrbaren Berufsstand der Rechtsanwälte Kriminelle gibt. Trojan und seine Mittäter haben eingeplant, das Kunstwerk dem Museum zurückzugeben. Allerdings sollte der „Finderlohn“ schon so um eine Million Euro betragen. Was macht man aber als halbwegs ehrbarer Gauner, wenn eine Rechtsanwältin einen Teil des Finderlohnes einfach behalten will? So nach dem Motto: Das Museum zahlt mein Honorar, dann können die Verbrecher das auch noch einmal tun. Ein Mandat, zwei Rechnungen sozusagen, aber nur eine geht durch die Bücher.

Regisseur Thomas Arslan liefert dem Publikum eine sehr spannende Gangsterballade. „Verbrannte Erde“ ist voll und ganz auf den Hauptdarsteller Misel Maticevik zugeschnitten. Er spielt cool und wortkarg, dafür mit klarer Mimik den Trojan. Der „Eiskalte Engel“ Alain Delon und Misel Maticevik könnten der Onkel und der Großneffe sein. Klar, der Franzose Alain Delon ist ein Weltstar. Wäre Misel Maticevik statt in Berlin-Gropiusstadt in New York großgeworden, sicherlich hätte er schon einen Oscar erhalten oder zumindest eine Oscar-Nominierung. Kann ja noch werden!

Thomas Arslan

(©  Marco Krüger/Schramm Film)
Thomas Arslan (© Marco Krüger/Schramm Film)

Thomas Arslan und Misel Maticevik, da haben sich zwei Ausnahme-Filmschaffende gefunden und sich gegenseitig gepuscht. Ein Drama der Kategorie: Muss man unbedingt sehen!

Text: Volker Neef

(Fotos: © still: Reinhold Vorschneider/Schramm Film; © Marco Krüger/Schramm Film)