VATER – berührende Neu-Premiere der Studiobühne Bayreuth über Demenz und Alzheimer
Wer besucht gerne einen Theaterabend, der Demenz und Alzheimer als Thema hat? Nach dem Erfolg mit „Honig im Kopf“ von Til Schweiger wissen wir, dass auch Humor und Verfremdung Mittel sein können, mit diesem Thema umzugehen. Jetzt fand in der Studiobühne Bayreuth die Wiederaufnahme-Premiere von „Vater“ statt aus der Feder des französischen Autors Florian Zeller. Das Stück hat es in sich. Nicht um sonst wurde es verfilmt und Anthony Hopkins erhielt für sein Spiel den Oscar. Damit wurde er zum ältesten Gewinner des Academy Awards.
Interessant ist für das Theaterstück die Frage: Wie geht die Regisseurin Anja Dechant-Sundby mit dem ernsten und tragischen Thema um? Sie und das Stück machen es anders als erwartet. Spielerisch, irritierend und Aufmerksamkeit fordernd. Der erste Eindruck gehört dem kreativen Bühnenbild (Ruth Pulgram). Auf dem Boden Dreiecke. Im Raum Gebilde, Skulpturen und Möbel einzig aus Dreiecken. Auch die Farben sind klar definiert: Silber in schwarzem Hintergrund. So ästhetisch und spannend das Bühnenbild wirkt, so bekommt es im Lauf des Abends durch neue Anordnung auf offener Bühne jeweils eine agile und sinnvolle Bedeutung, die die Handlung unterstützt. Zusätzlich spiegelt das asymmetrische und irritierende Design den geistigen Zustand des Vaters wider.
Der Vater lebt in seiner Wohnung und wird von seiner Tochter Anne (Claudia Iberle zeigt glaubhaft und verspielt ihren inneren Kampf) oft besucht und betreut. Doch sein Zustand der Demenz schleicht sich immer stärker in sein Leben und das der Tochter. Der im Alter zunehmende Narzissmus des Vaters macht ihr das Leben schwer. Besonders dann wenn das wertgeschätzt wird, was gerade nicht verfügbar ist und er für seine zweite Tochter schwärmt, die sich aber nur selten blicken lässt. Als Beispiel für die zunehmende Verwirrtheit durch die Krankheit bekommt ein Requisit eine zentrale Bedeutung, die in der Frage mündet: Wo ist die Uhr? Die Mischung aus Einbildung und Vergessen wird so besonders deutlich und auf der Metaebene wächst die unausweichliche Frage: Wann ist der äußerste Zeitpunkt gekommen, dass der Vater in eine „Einrichtung“ oder Pflegeheim übergeben werden muss?
Die Zuschauer bekommen den Blickwinkel des Vaters angeboten. Vater André gerät zunehmend in den Strudel seiner Wahrnehmungen. So bindet das Stück durch den ständigen Wechsel von realen Szenen und solchen, die eingebildet sind oder der Fantasie entspringen, die ständige Aufmerksamkeit der Zuschauer. Die Dramatik der Krankheit entwickelt sich durch den ständigen Wechsel von Realität und Fantasie auch zur Irritation für den Zuschauer. Was ist gerade Realität oder Fantasie? Was ist, wenn Fantasie zur Realität wird. Was ist, wenn Realität sich in Fantasie auflöst? Was ist, wenn der Vater oder der Zuschauer selber nicht nicht mehr den Unterschied erkennen? Eine Hilfe zur Antwort bietet die musikalische Live-Untermalung der Cellistin Anne Christoph an, die die unterschiedlichen Stimmungen feinfühlig begleitet. Eine Auflösung erschließt sich oft erst in einer der folgenden Szenen. Und genau das bindet das Publikum an die Inszenierung. Einzelne Szenen werden sogar von verschiedenen Rollen parallel wiederholt, nur mit einer neuen Aussage.
Das gesamte Ensemble (neben den genannten: Heike Hartmann, Martin Kelz, Florian Kolb) spielt glaubhaft, engagiert und fokussiert. Wolfram Ster spielt die herausfordernde Rolle des Vaters überzeugend und führt seine SchauspielkollegInnen mit intensivem Spiel und resonanter Stimme durch die Handlung.
Wie kann ein so zunehmend brisantes Thema schließen? Mit einem Bild, das durch Worte in den Köpfen der Zuschauer entsteht. Der Vater hat das Gefühl, alle seine Blätter zu verlieren. Und sie lösen sich vom Baum und fallen zur Erde.Die Spannung des vielleicht versöhnlichen Endes halten die Zuschauer in der entstandenen Dunkelheit lange in einer nachdenklichen Stille aus – bis sie durch einen begeisterten Applaus aufgelöst wird.
Weitere Aufführungen: 14., 20., 26. Oktober und 12., 13., 18., 25., 27. November um 20.00 Uhr Sowie 10., 24. Oktober 7. November um 17.00 Uhr. Infos und Karten unter: https://www.studiobuehne-bayreuth.de/theater/de/spielplan/kalender/
Text: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt, Redaktion München – Fotos: Studiobühne Bayreuth, Thomas Eberlein