Thomas Seerig im Gespräch zum Sehbehindertentag
Am 6. Juni begeht man immer den Sehbehindertentag.
Wir sprachen darüber mit Thomas Seerig. Er ist im Bezirk Steglitz-Zehlendorf zu Hause. Thomas Seerig gehörte sowohl von 1990 bis 1995 als auch von 2016 bis Herbst 2021 dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Von 2016 bis 2021 war der Politiker Sprecher seiner Fraktion für Mitbürger mit Handicap. Der Liberale ist Vorsitzender der FDP Steglitz.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Blickt man auf den 6. Juni, den Sehbehindertentag, was sieht man Ihrer Meinung dann?
Thomas Seerig: „So möchte ich es ausdrücken: Was Du nicht siehst….und dies gerne begründen.“
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Ja, bitte führen Sie das näher aus.
Thomas Seerig: „Rund 10 Prozent der Menschen in Deutschland haben eine Behinderung. Oft denkt man dabei sofort an Mobilitätseinschränkungen und setzt Barrierefreiheit mit Rollstuhlgerecht gleich.
Aber gerade der Verlust der Sinneseindrücke, des Sehens und Hörens, behindert im Alltag oft massiv“.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Nennen Sie bitte das ein oder andere Beispiel.
Thomas Seerig: „Beispiele gibt es genug:
Manche Wähler vertrauen ihrer Partei zwar blind, aber trotzdem möchte man sehen, wo man sein Kreuz macht. Es gibt zum Glück Schablonen, die auf den Wahlzettel gelegt werden können.
Das Ausfüllen von Formularen, z.B. für die Steuerklärung, macht noch weniger Spaß, wenn man die Fragen nicht sieht oder später den Bescheid nicht lesen kann.
Oder man steht an der Haltestelle und weiß nicht, welcher Bus gerade kommt. Die BVG hat zwar mit Sprechenden Haltestellen und Sprechenden Bahnen bzw. Bussen experimentiert, aber die Einführung in der Praxis steht weiter aus. Also weiter andere Fahrgäste fragen oder auf sein Glück vertrauen.
Und Fernsehen oder Kino werden nur mit Audiodeskription auch für Blinde zum Kunstgenuss.
Insgesamt gilt für Menschen mit Sinneseinschränkung, dass das Zwei-Sinne-Prinzip meistens hilft; also, dass jede Information optisch und akustisch erfolgt. Was der eine nicht hören kann, das sieht er. Und umgekehrt.
Leider werden kleine Fortschritte im Alltag durch neue Probleme wieder zunichte gemacht. Für Sehende sind die überall herumstehenden oder liegenden E-Scooter nur lästig, für blinde Menschen stellen sie eine echte Bedrohung dar und es gab schon zahlreiche schwere Unfälle.
Barrierefreiheit im Alltag ist eben mehr als Rollstuhlgerechtigkeit und braucht noch viel Engagement von uns allen, damit unsere Gesellschaft wirklich inklusive ist“.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Vielen Dank für das Gespräch.
Text: Volker Neef
Fotos: Frank Pfuhl; Volker Neef