Sorgenkind Afghanistan
Kürzlich haben die mörderischen Angehörigen der Taliban zum zweiten Male innerhalb eines knappen Vierteljahrhunderts die Macht in Afghanistan übernommen.
Es kam schon wieder, wie in der 1. Regierungsphase, zu öffentlichen Szenen, die einen an das finstere Mittelalter erinnern lassen. Öffentliche Hinrichtungen, das Abhacken von Händen, das Auspeitschen von Verurteilten (dazu gehören auch Leute, die sich nur mit Worten dem Terrorregime widersetzt haben) ist mittlerweile Alltag in dem instabilen Land am Hindukusch. Frauen dürfen nicht mehr die Schulen besuchen, als Richterinnen und Lehrerinnen arbeiten. Alles verboten. Wenn die Taliban den Koran und die Geschichte des Islams nur ein kleines bisschen kennen würden, wäre ihnen nicht entgangen: Im Jahre 656 nach Christi Geburt saß eine Frau namens Aischa auf dem Rücken eines Kamels und befehligte in der sogenannten „Kamelschlacht“ zahlreiche Regimenter. Diese Schlacht hatte im Gebiet des heutigen Basra im Irak stattgefunden. Widerspruchslos, und das vor 1.365 Jahren, ordneten sich Männer einer Frau unter.
Afghanistan war und bleibt ein Sorgenkind der internationalen Weltgemeinschaft. Darauf machte eine Veranstaltung des Vereins „Forum Neue Seidenstraße“ aufmerksam. Zu dieser Veranstaltung am 30. September in der Botschaft Usbekistans in Berlin-Moabit konnte der Vorstandsvorsitzende des „Forum Neue Seidenstraße“, Dr. Friedhelm Acksteiner, zahlreiche Gäste begrüßen. Unter ihnen auch den Gastgeber, S. E. Herrn Botschafter Nabijon Kasimov. Attaches aus anderen Ländern, Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Berliner Abgeordnetenhauses waren ebenfalls zu Gast in der Usbekischen Botschaft. Das Thema des Abends stand unter der Überschrift: „Neue Realität in Afghanistan – Auswirkungen auf die Region Zentralasien und die Initiative ONE BELT ONE ROAD“.
Usbekistan, das traumhaft schöne Land an der Seidenstraße, hat in jüngster Zeit die Bundesrepublik Deutschland in einer sehr komplizierten und schwierigen Situation entscheidend unterstützt. Erwähnenswert ist da die Evakuierungsaktion im Zusammenhang mit der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan. Taschkent wurde zum wichtigen Drehkreuz für Flüge zwischen Deutschland und Kabul. Usbekistan spielt eine wichtige Rolle in der Neuen-Seidenstraßen-Initiative, das wird auch nach der bevorstehenden Präsidentenwahl weiter im Fokus stehen. Im Podium befanden sich hochkarätige Gäste, darunter auch ein ehemaliger Südasien-Korrespondent der ARD, der später auch Regierungsstellen Afghanistans beraten hatte. Friedhelm Acksteiner betonte: „Wir sind hier in einer der schönsten Botschaft, die Berlin zu bieten hat. Wenn nicht sogar in der allerschönsten Botschaft der gesamten Bundeshauptstadt. Das Thema, um das es heute geht, ist alles andere als schön. Im August änderte sich praktisch stündlich die Nachrichtenlage aus Afghanistan. Generell ist zu sagen: Die Neue Seidenstraße ist ein multilaterales Thema, das nicht nur die Anrainer betrifft“. Die Podiumsteilnehmer betonten unisono, niemand könne in die Zukunft blicken. Ob sich das Regime in Afghanistan lange an den Schalthebeln der Macht befinden werde, gehöre in den Bereich der Spekulationen. Ein Redner sagte: „Wirtschaftlich betrachtet geht es den Afghanen alles andere als gut. Es ist bekannt, dass breite Bevölkerungsschichten Hunger leiden, eine medizinische Versorgung ist nicht mehr gewährleistet. Es fehlt allen an allem“. Ob diese Unzufriedenheit ausreicht, dass sich das Volk gegen die Taliban zur Wehr setzen wird, ist ebenfalls ungewiss. Jemand stellte die unbeantwortete Frage. „Lässt das Volk sich alles gefallen? Besonders die Frauen? Müssen jetzt Professorinnen, Lehrerinnen, Richterinnen, Abgeordnete und Ministerinnen zu Hause am Kochtopf bleiben?“ Man wies auch darauf hin, dass es „die Taliban“ gar nicht gäbe! Zuerst denke man „im Land am Hindukusch in Stämmen! Zuerst ist man Angehöriger eines Stammes, am Ende der Kette dann vielleicht Taliban. Ein WIR-Gefühl hat man in diesem Land noch nie gekannt. Mal abgesehen von der Zeit um 1965 bis fast Anfang der 80er-Jahre“. Da traf man Damen mit kurzen Röcken in Restaurants in Kabul sitzend an. Zeitzeugen berichteten, keine Frau trug zu Zeiten des letzten Königs in den großen Städten einen Schleier. Es gab Diskotheken, Kinos und Schallplattenläden. Heute ist das alles verboten. Der Untergang des Landes ist 1979 eingeleitet worden. Die UdSSR besetzte das Land. Hatte man vorher via Moskau nur Panzer in „befreundete“ Staaten marschieren lassen wie beispielsweise 1953 beim Aufstand in der DDR, 1956 in Budapest und 1968 in der CSSR, wurde mit dem Überfall auf Afghanistan erstmals in der Geschichte ein Land von der UdSSR besetzt, das weder zum „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ noch zum „Warschauer Pakt“ gehörte! Ein Witz, der damals die Runde machte, lautete in Westdeutschland. „Besuchen Sie doch einmal die Sowjetunion- bevor die Sowjetunion Sie besucht“. In den letzten 20 Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland Afghanistan ca. 2,5 Milliarden Euro aus dem Entwicklungsetat bereitgestellt.
Die Beteiligung der Bundeswehr an den internationalen Einsätzen in Afghanistan beläuft sich auf weit über zwölf Milliarden Euro. Ende offen, lautet es da. Einige deutsche Soldaten sind aufgrund ihres Einsatzes so schwer verletzt worden, dass sie berentet werden mussten. Traumatisierte Bundeswehrangehörige befinden sich in der Behandlung von Nervenärzten. Hier wäre es auch Spekulation, wenn man wüsste, wann der letzte Patient aus den Reihen der Armee als „geheilt“ betrachtet werden darf. Diese traurige Zahl dürfen wir nie vergessen: 59 Soldaten der Bundeswehr mussten von ihren Kameradinnen und Kameraden im Sarg aus Afghanistan nach Deutschland geflogen werden! 59 -faches Leid bei Witwen, Kindern, Verwandten, Freunden, Kameraden. Hat der Tod der deutschen Soldaten die Situation im Land verbessert? Darüber mögen andere Generationen einmal entscheiden.
Dabei bietet das Land laut Fachleuten genügend Potential für einen Wohlstand für alle Bewohner, wenn dieser dauernde Krieg nicht wäre. Liu Guosheng ist in Hamburg Mitglied im Tourismusausschuss der dortigen Handelskammer. Zudem ist er Gesellschafter von „China Tours Hamburg“ (CTH). Liu Guosheng erklärte: „Afghanistan hat große touristische Sehenswürdigkeiten. Dazu eine Landschaft, die beeindruckt“. Es ist klar, jetzt würde wohl kaum ein Deutscher nach Kabul freiwillig fliegen! Selbst dann nicht, wenn man ihm den Flug und das Hotel spendieren würde. Diese Zahlen sind auch bittere Realität: Der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen hat 28 Terrororganisationen auf seiner Liste stehen. Davon sind 22 in Afghanistan beheimatet. Das entspricht fast 80 Prozent.
Usbekistan ist bis jetzt der letzte Verbindungsanker nach Kabul. Richtigerweise müsste es Verbindungspuffer lauten. Ein Puffer gehört zur Lokomotive und zum Waggon. Die Angehörigen der Taliban haben auf afghanischer Seite die Eisenbahnstrecke von Afghanistan ins Nachbarland Usbekistan noch nicht unterbrochen. Auf diesen Gleisen werden mehr als 50 Prozent des Exportes aus Afghanistan in alle Welt transportiert. Personenbeförderung gibt es natürlich nicht mehr mit diesem Zug. Viele Afghanen haben das Land verlassen. Allein in Pakistan harren rund 4 Millionen Flüchtlinge aus und warten ab, was die Zukunft in Afghanistan bringen wird. Einer der Zuhörer war Diplom-Ingenieur Volker Tschapke. Er ist Ehrenpräsident der ehrwürdigen „Preußischen Gesellschaft“. Sie hat ihren Sitz am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte. Volker Tschapke teilte mit preußischer Ehrlichkeit und Gradlinigkeit mit: „In den letzten Jahrzehnten kamen kaum positive Meldungen aus Afghanistan. Ich als Offizier, mittlerweile der Reserve, musste den Tod von 59 Kameradinnen und Kameraden der Bundeswehr beklagen. Wo ist ein Fünkchen Hoffnung für das geschundene Land? Wenn ich die Antwort Ihnen geben könnte, verzeihen Sie bitte, ich bin preußisch-bodenständig, aber bei einer richtigen Antwort, wäre ich zumindest Kandidat für den Friedensnobelpreis oder sogar Empfänger des Friedensnobelpreises“. Eine spannende Tagung hatte man in der Usbekischen Botschaft erleben dürfen. Nur eines ist klar: Lösungen zur Befriedung sind nicht bekannt. Soll man überhaupt mit den Taliban diplomatische Beziehungen aufbauen? Fragen über Fragen. Das „Forum Neue Seidenstraße“ kann- leider- bestimmt noch viele spannende Veranstaltungen zum Thema Taliban einberufen.
(Stimme der Hauptstadt Text/Foto: Volker Neef)