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Prof. Jörg Rocholl sprach im „korrespondenten.cafe“

Ewald König (li.) und Jörg Rocholl (Foto: Volker Neef)

Der Journalist Ewald König lud seine internationalen Kolleginnen und Kollegen am 26. September ins „korrespondenten.cafe“ in Berlin-Mitte ein.

Zu Gast war Prof. Jörg Rocholl (51). Der gebürtige Westfale und Vater dreier Kinder ist Wirtschaftswissenschaftler von Beruf. Er ist Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT Berlin. ESMT steht für European School of Management and Technology. Dort hat er auch eine Professur für nachhaltige Finanzwirtschaft inne. Ebenfalls ist Prof. Jörg Rocholl Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen (BMF). Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF ist ein unabhängiges Beratergremium, das Politiker bei
Entscheidungsfindungen mittels Analysen und Gutachten unterstützt.

Der international anerkannte Wirtschaftswissenschaftler sprach u. a. das Bürgergeld an. Er warf die Frage auf, ob man es den Mitbürgern verdenken könne, wenn sie sich folgende Frage stellen: „Lohnt sich Arbeit überhaupt?“ Gerade bei Beziehern in der Kombination von Wohngeld und Bürgergeld komme diese Frage auf. Man erlebe „absurde Fälle, wo Mehrarbeit keinen finanziellen Zuwachs bringt“. Die Ursache dafür sieht er in „einem intransparenten System, das keine Leistungsanreize bietet“.

In Bezug auf das Renteneintrittsalter hierzulande sprach sich der Wirtschaftswissenschaftler für mehr Liberalität aus! Im Klartext bedeutet das: Wenn der Arbeitnehmer XY sich persönlich noch zu jung fühlt, um ein Leben als Rentner zu führen, soll man ihm gestatten, weiterhin tätig zu sein. Individuelle Modelle, was die Zahl der Arbeitstage oder Arbeitsstunden angeht, können zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer vereinbart werden. Man müsse auch „den Hintergrund bedenken. Immer mehr Fachkräfte gehen in den Ruhestand. Wie schaffen wir es, Arbeitnehmer länger im Prozess zu halten?“. Die Riesterrente, die 2002 eingeführt worden ist, sieht er nicht als ein erfolgreiches Modell an.  

Ein wichtiger Punkt auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle. So betrug die ausgezahlte Summe im letzten Jahr für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle 77 Milliarden Euro. Die Krankschreibung per Telefon sieht er ebenfalls nicht als ein Erfolgsmodell an. Wer in Präsenz zum Arzt geht, kann ja auch gleich in die Fabrik oder ins Büro gehen, wenn man nicht gerader schwerkrank ist. Prof. Jörg Rocholl schlägt vor, den ersten Krankheitstag finanziell ausfallen zu lassen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle beginnt erst am 2. Tag der Krankschreibung. Das kann der Arbeitnehmer finanziell verschmerzen und belastet die Arbeitgeber am Ende weniger.

Kein Verständnis bringt er auf für Zeitgenossen, die sich vom Wirtschaftswachstum lösen möchten. „Wir brauchen Wachstum. Sozialleistungen, Verteidigungsausgaben und viele andere staatliche Aufgaben ebenfalls sind nur lösbar, wenn wir Wachstum vorweisen können“.

Die Bürokratie hierzulande ist „total überfrachtet. Besonders würgt sie kleinere und mittlere Unternehmen. An unserer Hochschule sind ca. 250 Menschen beschäftigt. Viel Zeit geht damit verloren, weil wir zum Beispiel eine Nachhaltigkeitsstrategie regelmäßig vorlegen müssen“.

Er sah auch Licht am Horizont für seinen Berufsstand, die Wirtschaftswissenschaftler. Als Gastwissenschaftler ist er immer noch beim Forschungsinstitut der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main tätig. Im Laufe seiner Karriere war Jörg Rocholl einst bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main tätig. „Als ich dort meinen Dienst antrat, war ich ein regelrechter Außenseiter. Kaum ein Wirtschaftswissenschafter war dort in den oberen Etagen tätig. Man traf auf Juristen an“. In vielen Wirtschaftsministerien der Bundesländer und beim Bundesminister für Wirtschaft war es lange Zeit üblich, die Zahl der dort tätigen Juristen überstieg bei Weitem die Zahl der Volks-, Betriebswirte, Diplom-Handelslehrer, Diplom-Ökonomen und Steuerberater zusammengerechnet. „Seit einigen Jahren erkennt man, das in diesen Bereichen die Anzahl der Wirtschaftswissenschaftler steigt“. Alle politischen Verantwortlichen haben erkannt, wie wichtig und wertvoll die Ratschläge der Wirtschaftswissenschaftler für das Land sind.

Ewald König sagte: „Man ist beeindruckt von Ihren Ausführungen. Ich möchte Sie bitten, dem „korrespondenten.cafe“ demnächst wieder einen Besuch abzustatten“.

Prof. Jörg Rocholl antworte: „Immer gerne“.

Text/Foto: Volker Neef

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