„On the Edge“ (Grenzzustand)- Filmbesprechung
Verlorene Helfer in Krankenhäuser
Erschöpfte Ärzte und Krankenschwestern, wir sahen sie zuhauf während der Covid-Hochphase. Doch ist es wirklich besser geworden. Graduell gewiss, aber effektiv? Krankenhäuser sind in neoliberalen Zeiten Reparaturstätten. Ziel ist, Menschen so schnell wie möglich wieder fit zu machen, um sie dahin zu schicken, woher sie kamen. Aber gerade dies kann das Problem sein, mit dem besonders der (oftmals nicht einmal existente) psychologische Betreuungsdienst konfrontiert ist.
Der Dokumentarfilm von Nicolas Peduzzi „On the Edge“ (Grenzzustand) porträtiert das Leben des Psychologen Jamal Abdel. Er hastet durch die Korridore seines Krankenhauses, um ein paar Minuten mit denen zu verbringen, deren Probleme gerade vor den Krankenhaustüren beginnen, einerseits Opfer von Gewalt aller Art, andererseits autodestruktiv, nicht zuletzt oftmals, um endlich wahrgenommen zu werden.
Der französische Dokumentarfilm stammt aus dem Jahr 2023. Man hat ihn in Cannes prämiert. Er stellt die Frage nach Sinn und Grenzen eines Betriebes, der Leid nicht lindern kann in einer Gesellschaft, wo es an allem mangelt: Menschlichkeit, Kommunikation, Respekt und Miteinander. Die Psychologen selbst geraten an ihre physischen und psychischen Grenzen angesichts der Beschränkungen ihrer Arbeit. Besonders jene, die sich dagegen auflehnen, Probleme mit Medikamenten oder Betäubungsmitteln wegzuspritzen. Denn sie wissen: die Hilfsbedürftigen sind diejenigen, die normal auf eine kranke Gesellschaft reagieren. Die wirkliche Krankheit ist eine sich zerstörende Gemeinschaft. Symptome zu behandeln ist der beste Weg, die Gründe der Erkrankung nicht wahrzunehmen.
Text: Dieter Wieczorek
Foto: ©Penelope Chauvelot