Sebastian Erik Müller, Schreinermeister, Künstler und Holzbildhauer
MMS: Wie hinterlässt du aus deiner Sicht Spuren?
Sebastian Erik Müller: Auf der Hand liegt natürlich, dass meine Produkte mich zum Großteil wahrscheinlich überleben werden. Wenn man etwas mit der Hand aus guten Materialien baut, dann ist es schon so angelegt, dass es länger hält. Das ist tatsächlich ein Grundkonzept von mir. Eigentlich baue ich in erster Linie Möbel. Ich habe den Grundsatz Möbel so zu bauen, dass eine Generation sie kauft, die nächste Generation sie auf den Dachboden stellt und die übernächste Generation die wieder runter holt. Diesem Klimawechsel zum Dachboden und zurück oder vielleicht auch nach Übersee sollte das Möbel überleben. So soll es gebaut sein. Ich habe auch schon in der ganzen Welt in dieser Art Spuren hinterlassen. Ich habe ein bisschen Zeit gehabt, über die Frage nachzudenken. Was mich im Moment total bewegt, ist, dass die wirklichen Spuren, auf die es ankommt, eigentlich innerlich stattfinden. Da bin ich sehr dankbar für die Geburt meiner Kinder. Das sind die beiden Menschen, die die größten Spuren bei mir hinterlassen haben. Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der durch die eigenen Kinder so richtig die Liebe spürt und kennenlernt. Na klar, verliebt man sich auch in die Mutter der Kinder oder in den Vater der Kinder. Das eigen Fleisch und Blut zu beschützen und aufwachsen zu sehen, ist schon nochmal eine andere Liga.
MMS: Wie haben sich Pandemie und Lockdown auf dich privat oder geschäftlich ausgewirkt?
ebastian Erik Müller: Für mich war es tatsächlich gar nicht so schlimm. Ich habe vorher zu viel gearbeitet und habe viele Freunde vernachlässigt, weil ich wenig Zeit hatte. Die überbliebene Zeit hat meiner Familie gehört. Abgesehen davon war ich als Handwerker auch immer privilegiert. Ich durfte immer in den Baumarkt. Ich durfte immer einkaufen gehen. Ich durfte auch nach neun Uhr raus, wenn ich meine Arbeitshose anhatte. Von dem her war es jetzt für mich, der nicht irgendwie gependelt ist, alles nicht so schlimm. Insgesamt war es für uns daheim eine gute Zeit. Wir haben es geschafft, durch die Krise zu gehen und zusammen zu halten. Wir konnten uns als Familie stärker wahrnehmen. Da sind wir ein Stück weiter gekommen als zurückgefallen. Aber was echt gefehlt hat waren Konzerte. Die vermisse ich auch heute noch. Und auch den Gedanken, wenn ich mir überlege, was man damals mit schwitzenden Menschen im Moshpit erlebt hat. Ob sowas nochmal für unsere Generation wieder kommt, das ist schon die Frage. Das ist eine Freiheit und auch eine Lebensqualität, gute Konzerte mit anderen Menschen live zu genießen. Da geht es eigentlich auch um alles. Jeder hat seine Kunstform wie Museen. Ich habe es leider nicht getan und jetzt bin ich ein bisschen spät dran. Aber wenn so etwas wieder kommen würde, ich würde mir eine Folierung aufs Auto kleben: Kunst und Kultur sind systemrelevant. Es ist ein Witz, wie das hinten runtergefallen ist. Ich darf mich auch im härtesten Lockdown in der Menschenschlange durch einen Ikea wälzen. Gleichzeitig darf ich mich nicht in den Konzertsaal setzen. Die ganzen Beispiele sind ja hinlänglich zitiert worden. Es ist traurig, tatsächlich. Also ich könnte echt ein Manifest aufmachen. Wenn Kultur mal so wichtig hinten runter fällt, dann weiß man ja was passiert – also entartete Kunst und so. „Böse Menschen haben keine Lieder.“ Wir brauchen die Lieder für unsere Gesellschaft.
MMS: Was an Denkweisen, Methoden oder Techniken kann dir helfen da durchzukommen?
Sebastian Erik Müller: Es sind tatsächlich Kulturtechniken. Was tatsächlich schön ist, diese Zeit ist insgesamt ein bisschen introvertierter geworden. Im kleinen Maßstab habe ich das Zeichnen für mich wieder entdeckt, was toll ist. Es ist lange zu kurz gekommen. Man musste echt gucken, wie das mit dem Sport ist oder wo macht man seinen Ausgleichssport? Ich habe ein ganz guten Weg für mich gefunden, mich mit Gymnastik über Wasser zu halten. Das sind alles wichtige Dinge. Wo mein Bestreben jetzt nach zwei Jahren wirklich hingeht ist, dass ich immer klarer werde. Das war am Anfang so nicht klar.
MMS: Was aus dem Bereich Kunst, Kultur, Literatur, Musik oder Theater hat dir ein Stück weit geholfen, durch die Zeit zu kommen?
Sebastian Erik Müller: Musik. Musik geht ja sowieso immer. Ich meine, sich auch darin zu vertiefen. Auf jeden Fall Lesen. Das Buch gegen das Handy tauschen ist auch eine gute Strategie. Musik, Museen und Konzerte haben wirklich gefehlt. Vor allem dann wieder in den Tritt zu kommen. Wenn man es dann wieder kann, dass man es auch wieder macht. Wenn die Energie mal raus ist, dann ist das was ganz anderes, sich da wieder richtig einzufinden. Ansonsten konsumiere ich Kultur auch über das Radio durch Wissens- und Kultursendungen. Aber letztendlich bleiben gute Filme und Bücher.
Sebastian Erik Müller: Ich habe das Album „Rage Against The Machine“ wiederentdeckt, das Standard Album. Es ist politisch mit wertvollen Texten gespickt und es hat so einen wohltuenden Zorn. Der hilft über fast alles hinweg. Im Bereich Bücher genieße ich im Moment „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ (von Peter Hoeg). Es ist sehr fein geschrieben. Ich bin da tatsächlich eher auf der Romanschiene.
MMS: Solche Auszeiten haben die Chance, dass etwas Neues passieren kann. Was an Innovation oder vielleicht an Transformation ist bei dir entstanden?
Sebastian Erik Müller: Ein ganz aktueller Prozess hängt sicher mit der ganzen Zeit zusammen und auch mit dem fehlenden Sport. So habe ich mir tatsächlich eine Challenge gegeben und habe gesagt: Ich lasse mein „Schnapserl“ vor dem Einschlafen weg und stehe eine halbe Stunde früher auf. Ich mache Gymnastik und gehe danach draußen kalt duschen. Das hat bei mir tatsächlich eine große Welle geschlagen. Das will ich echt mitnehmen für die Zukunft. Das wäre ein gutes Ziel.
MMS: Schreinermeister und Digitalisierung wie schaut’s da bei dir aus?
Sebastian Erik Müller: Schaut gut aus. Ich habe lange Zeit das Handwerk sehr hoch gehalten. Inzwischen bin ich zu der Erkenntnis gekommen dass man auch mit Computer- und CNC-Technologie gestaltete Produkte mit Liebe ausstatten kann. Ich bin gerade dabei, da einzusteigen. Was mich eventuell sogar in Richtung eines Online-Shops bringt, dass ich kleine feine Produkte im kleinen Stil verkaufe, um geschäftlich ein Grundrauschen reinzubringen. Ich habe kürzlich einen kleinen CNC-Automaten erworben und bin dabei einzusteigen.
MMS: Das ist eine sehr interessante Denkweise, Sebastian. Vielen Dank für unser Gespräch und die vielen offenen Antworten.
Fotos und Interview: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt.Berlin, Redaktion München
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