Gespräch mit Udo Schmidt-Steingraeber
In diesem Interview wird es ein Stück musikalisch. Ein großer Name steht hinter meinem Interviewgast: Die Klaviermanufaktur Steingraeber aus Bayreuth ist weltbekannt durch Flügel und Klaviere. Udo Schmidt-Steingräber, der noch bei August Everding studierte, führt das Unternehmen seit vielen Jahren.
MMS: Wie hinterlässt du aus deiner Sicht Spuren?
Udo Schmidt-Steingraeber: Persönlich glaube ich nicht, dass die Spuren sehr lange oder gar über 100 Jahre reichen, aber unsere Instrumente werden wohl überleben. So wie wir heute historische Instrumente, das älteste ist von 1835, hier haben, die man auch spielen kann, so wird es auch mit den heutigen sein. Wir definieren uns ja doch besonders mit unserem Klang, auch manchmal mit dem Aussehen und der Gestaltung der Instrumente. So wird man uns und ein bisschen auch mich in 100 und 200 Jahren noch nacherleben können.
MMS: Du förderst aber auch Menschen und Kultur?
Udo Schmidt-Steingraeber: Wir haben hier ein Kulturhaus. Das ist so angelegt, dass es als Palais aus dem Rokoko ohnedies schon eine Beletage hat. Es hat weit reichende Gebäude. Insgesamt teilen wir uns hier auf fünf Gebäudeeinheiten auf. Die nutzen wir nicht nur für Produktion und für Verwaltung oder für den Verkauf von Pianos und Flügeln. Sondern wir haben zwei Konzertsäle, ein wachsendes Museum und im Sommer ein Hoftheater. In den Pandemiezeiten durften wir sogar im Mai 2021 das erste Open Air Festival Bayerns haben. Die Regierungspräsidentin von Oberfranken (Heidrun Piwernetz) hat eine unglaublich zügige Genehmigung bei allen Behörden bewirkt, sowohl in Bayreuth, als auch in München.
MMS: Was ist in der Krise, aus dem Lockdown oder in dem Stillstand an Neuem oder Innovativem entstanden?
Udo Schmidt-Steingraeber: Wir haben einen Transducer Flügel weiterentwickelt und zwar ganz bedeutsam. Das klingt etwas kryptisch. Ein Transducer Flügel ist eine elektronische Erweiterung des ganz traditionellen akustischen Klaviers mit bis zu zwei elektronischen Ebenen. So kann man zum akustischen auch Live-Elektronik und Konzert-Elektronik spielen. Das ist für Komponisten interessant, aber auch für jede Art von Performance. Es ist nicht, wie es heute oft so ist, eine Spielerei, sondern ist ganz ernsthaft als Erweiterung des musikalischen Gedankens beim Klavier gedacht. So haben wir sozusagen unsere Flügel aufgewertet. Durch Komponisten haben wir großen Zuspruch bekommen. Auf der anderen Seite haben wir „Dank Corona“ eine ganz wunderbare neue Ausstellung zusätzlich im Steingraeber Klaviermuseum. Wir konnten ja weder nach China auf die Messe, noch konnten wir die Deutsche Messe und in diesem Jahr die USA Messe durchführen. Es war alles geplant. Wir hatten es auch budgetiert. So waren Gelder frei und wir konnten die größte Sammlung historischer Fotografien von Franz Liszt erwerben. Es sind 132 Original-Fotografien von immerhin 1843 bis zur allerletzten Fotografie aus dem Jahr 1886, die sogar nur einmal, und zwar hier im Steingraeber Haus Bayreuth, existiert. Wir haben die Ausstellung sehr eindrucksvoll gestaltet, in neun Epochen jeweils zusammengefasst und bei uns in der Beletage im Klaviermuseum aufgebaut.
Udo Schmidt-Steingraeber, Foto: Joachim Skambraks
MMS: Das ist ja richtig beeindruckend. Lass uns noch über den Lockdown und den Stillstand sprechen. Wie hat es sich auf dich persönlich ausgewirkt?
Udo Schmidt-Steingraeber: Wahrscheinlich wie bei allen Menschen. Im März 2020 war schon einigermaßen Verzweiflung da. Wir haben zum ersten Mal, in meiner Zeit jedenfalls, einen ganzen Monat lang kein einziges Instrument verkauft. Das war März 2020, April so gut wie nichts, im Mai ging es dann langsam wieder los. Man konnte wieder Hoffnung schöpfen. Ab Juni letzten Jahres haben wir dann gemerkt, dass sogar neue Kundenkreise aktiviert wurden. Nämlich solche Menschen, die früher, wahrscheinlich zu Gymnasialzeiten, sehr gut gespielt haben. Dann kamen das Studium, die Familiengründung oder der Hausbau. Es wurde nicht mehr musiziert bis eben zu diesem Lockdown. Zunächst haben viele ein Keyboard, ein Digitalpiano günstig erworben. Diese waren dann zeitweise sogar ausverkauft, überall auf der Welt. Sie haben oft schnell bemerkt, dass es bald nicht mehr genügt, dass alte Kenntnisse wieder kommen und dass es richtig Spaß macht. Jetzt gibt es immer mehr Klavierspieler. Das ist ein sehr schöner Effekt. Also, es ist so eine Achterbahnfahrt gewesen. Es war wirklich eine heiß-kalte Dusche. Im Oktober 2020 mussten wir hier selbst in den Lockdown gehen. Nach einer Geschäftsführungsbesprechung mit immerhin sieben Personen stellte sich danach die Erkrankung von einer Teilnehmerin heraus. Daraufhin war Steingraeber mit seiner gesamten Geschäftsführung und wichtigen Personen für den allgemeinen Ablauf für zwei Wochen in Quarantäne. Alle sonstigen Kolleginnen und Kollegen durften alles ganz allein machen. Und sie haben es blendend getan. Es gab kein Unglück es es wurde nichts vergessen. Es war eine wunderbare Bestätigung. So ging es halt immer rauf und runter, auch mit der Seele. Aber wem ging es nicht so? Wir sitzen alle in einem Boot.
MMS: Welchen Tipp, Idee oder Technik hast du für andere Menschen, wie man gut durch eine Krise kommen kann?
Udo Schmidt-Steingraeber: Man muss sich seine eigenen Welten immer für sich erhalten. Man darf sein eigenes „Ich“ nicht immer abhängig machen von der Umwelt und eine gute Portion immer für sich behalten, die man auch mit sich selber abmacht. Das kann sein durch Lesen und sich verkriechen mit Büchern aus der eigenen kleinen Bibliothek oder wirklich mit Musik machen. Man kann sich ja auf ganz verschiedene Art auch auf sich selbst konzentrieren. Ich meine, dass wir in dieser extrovertierten Welt durchaus das Introvertierte wieder erkennen sollten. Den Wert davon sollte Jede und Jeder für sich erhalten.
MMS: Menschen mit Spuren beschäftigt sich auch mit Kunst, Kultur, Literatur, Musik und Theater. Was aus diesem Bereich hat dir und deiner Familie geholfen, besser durch die Zeit zu kommen?
Udo Schmidt-Steingraeber: Wenn es um mich und die Familie geht: Beim ersten Lockdown waren unsere Kinder da. Wir haben das Skatspielen zur höchsten Kunst erhoben. So haben wir uns wirklich viele Stunden beschäftigt. Das ist nicht unmittelbar der engste Kulturkreis, der wahrscheinlich gemeint ist, aber es war eine spaßige Zeit. Wir hatten eine Art Kommunenleben mit den eigenen erwachsenen Kindern. So hat man sich mal wieder neu kennengelernt. Ansonsten haben wir viel, sehr viel politisch diskutiert, auch viel philosophiert und gelesen.
MMS: Herzlichen Dank, lieber Udo, für unser Gespräch und die Inspirationen.
Text und Interview: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt.Berlin, Redaktion München
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