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„Home Sweet Home“- Berlinale 2025

Karen Tygesen und Jette Søndergaard (© Rolf Konow)

In der Fülle der Berlinale Beiträge die kleinen signifikanten Perlen zu finden und zu nennen, wird immer ein subjektives Unternehmen bleiben müssen. Entscheidend scheint, die Kriterien zu nennen, die ein Werk hervorheben. Hier soll die Rede sein von dem in der Panoramasektion platziertem Werk „Home Sweet Home“ (Originaltitel: „Hjem kaere hjem“). Der Regisseur Frelle Petersen aus Dänemark bringt hier ein aufrichtiges, genau beobachtendes, delikat schmerzvolles volles Werk als Weltpremiere nach Berlin.

Überzeugend verknüpft sie dokumentarische Qualitäten mit fiktionalen Elementen, vor allem  Einblicke in intime Bereiche und Zweifel erlauben, die der Dokumentarfilm nicht immer einfangen kann. Hinzu kommt in diesem Fall noch eine thematische Brisanz, die Konfrontation mit einem Krisenthema, das immer mehr an Gewicht gewinnt, ohne dass eine Lösung in Sicht scheint: die Überforderungen der Pflegekräfte. Das Problemfeld ist gewiss nicht neu, aber es zu kennen heißt nicht automatisch, es zu verstehen und wirklich wahrzunehmen. Hier findet der Film seine kulturelle Funktion.

Jette Søndergaard und Karen Tygesen (© Rolf Konow)

Die junge, geschiedenen Mutter Sofie hat sich erfolgreich als Pflegekraft beworben. Scheu und sich nicht immer sicher, geht sie ihren Aufgaben vom ersten Tag an mit großer Konzentration und menschlicher Nähe nach. Sie ist stets bereit zu tun, was in ihren Kräften steht, auch wenn es nicht unbedingt auf ihrem zeitbeschränkten Aufgabenzettel notiert ist.

Schnell konfrontiert mit (zu) vielen verlangten Hilfestellungen, erfährt sie auch Erniedrigungen, weniger von den vereinsamten, fordernden  Patienten, als von unnachsichtig  kritisierenden  Verwandten. Permanent überlastet findet sie nicht mehr die gleiche Zeit, Kraft und Aufmerksamkeit für ihre Tochter, deren Betreuung sie sich mit ihrem Ex teilt. Obwohl sie ich auch als Trainerin für ihr sportliches Kind engagiert, entfremdet sich die Jugendliche immer mehr von ihr. Sie zieht es nun vor, ihre Zeit lieber in der neuen Familie ihres Vaters zu verbringen und geht mit ihm auf Reisen, gerade dann, als Sofie sich für sie eine Freizeit schwer erkämpft hat.

Ihre Tochter aber ist Sofies wichtigste Lebensinhalt. Ihre Situation wird nicht erleichtert durch die Tatsache, dass Sofie ein gelassenes Desinteresse ihrer Kollegen zu bemerken beginnt, die den Weg der inneren Distanz gewählt haben, um dem stets an Stress zunehmenden Alltag standzuhalten. Mehr noch, sie wird mit Nachlässigkeiten und sogar Fehlern ihrer Kollegen konfrontiert, die alles abstreiten.

Frelle Petersen, die auch das Skript schrieb, gelingt eine kristalline Fallstudie des Weges vom enthusiastisch rückhaltlosen Beginnens über eine herannahende Depression hin zu einer Phase, in der sie ihr Gleichgewicht zwischen engagierter Nähe und Selbstschutz finden muss. Bei einigen ihrer Kollegen/innen, die ähnliche Etappen durchliefen, trifft sie auf Verständnis.

Die humanitären Werte Europas allerdings greifen auch hier nicht mehr. Seit Jahren fehlen – im politischen Konsens – die Mittel, um dieser Berufsgruppe an der Frontlinie der wichtigsten und dringendsten Bedürfnisse zu entlassen, durch mehr Freiräume, interne Alternativen und schlichte Endgeltung, während es auf der anderen. Seite kein Problem scheint, von einem Tag auf den anderen Hunderte Milliarden Euros für Rüstung und AI freizuschalten. Feiern wir den Beginn der nicht nur post-humanitären, sondern auch post-humanen Gesellschaft.

Home Sweet Home (Hjem kaere hjem)

Regie: Frelle Petersen

Dänemark / 2025 / 112 min

Text: Dieter Wieczorek

Foto:© Rolf Konow