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Heiner von Marschall – Verkehrsexperte und grün

Heiner von Marschall (Foto: Gaby Bär)

Heiner von Marschall – Verkehrsexperte und grün

Heiner von Marschall lebt seit 1990 in Berlin, ist 54 Jahre jung  und seit 2017 Landesvorsitzender des Verkehrsclubs VCD, Landesverband Nordost (für Berlin und Mecklenburg-Vorpommern).

Stimme der Hauptstadt: Sie sind seit 20 Jahren aktiv in und für die Verkehrspolitik der Grünen in Berlin aktiv. Welche Entwicklung konnten Sie mitgestalten?

Heiner von Marschall: In Reinickendorf konnte ich als  Bezirksverordneter 2006-2011 das Thema Fahrradverkehr im Bezirk auf die Tagesordnung setzen und anschließend als Kreisvorsitzender auch im schwarz-grünen Zählgemeinschaftsvertrag verankern. 2013 habe ich dafür auch gemeinsam mit der ADFC Stadtteilgruppe ein bezirkliches Radnetz entworfen. Leider ist hier doch sehr wenig passiert. 

Der VCD Nordost hat gemeinsam mit ADFC, BUND und Changing Cities dann 2018 ein Radnetz Berlin ausgearbeitet, wobei ich für den Bezirk Reinickendorf verantwortlich war. Mittlerweile hat auch der Senat mit zweijähriger Verspätung ein Radnetz vorgelegt. Als Verbände sehen wir da vieles anders. Aber in Reinickendorf ist unser Netz im Plan erkennbar. Es wird im Bezirk auch von den Grünen und vielen örtlichen Bürgerinitiativen unterstützt. Es ist zu hoffen, dass in einem neuen Bezirksamt nach der Wahl der Radverkehr nicht mehr ausgebremst, sondern entschlossen ausgebaut wird, wie es das Berliner Mobilitätsgesetz vorschreibt.

Für das Berliner Mobilitätsgesetz habe ich als einer von zwei Vertretern der Mobilitätsverbände den Fußverkehrsteil mit verhandelt, der Anfang 2020 verabschiedet wurde. Demnach muss in jedem Bezirk innerhalb von fünf Jahren ein bedeutendes Fußverkehrsprojekt umgesetzt werden. In Reinickendorf könnte das die Umgestaltung der Berliner Straße in Tegel oder auch ein autofreier Kurt Schumacher Platz sein. Bislang wird das Mobilitätsgesetz vom Bezirksamt ignoriert.

Auch die Abschnitte Neue Mobilität und Wirtschaftsverkehr habe ich für die Verbände verhandelt. Dabei ging es darum, die Geschäftsgebiete der Sharing Anbieter auf das gesamte Stadtgebiet auszudehnen und auch das Abstellen von z.B. E-Tretrollern klarer zu regeln. Für den Wirtschaftsverkehr sollten wesentlich mehr Liefer- und Ladezonen geschaffen werden, um das gefährliche Zweite-Reihe-Parken zu beenden. Natürlich hätten dafür Parkplätze in Einkaufsstraßen weichen müssen. Leider sind diese Abschnitte der Wahltaktik von Frau Giffey zum Opfer gefallen und die SPD hat die Verabschiedung im Abgeordnetenhaus auf den letzten Metern blockiert.

Heiner von Marschall (Foto: VCD)

Stimme der Hauptstadt: Die Nachnutzung von TXL mit der Urban Tech Republic, dem Schumacher Quartier und der Gesamtgestaltung mit dem Kurt-Schumacher-Platz sind Ihnen wichtig. Was ist dabei die wichtigste Aufgabe?

Heiner von Marschall: Die Nachnutzung von TXL ist eine riesige Chance, dass sich unser manchmal etwas verschlafen wirkender Bezirk endlich weiter entwickelt. Hier werden die Innovationen erforscht und angewendet, die wir dringend brauchen, damit unsere Stadt mit dem fortschreitenden Klimawandel zurecht kommen kann.

Wichtig ist mir, dass diese positive Entwicklung nicht nur isoliert hinter dem Flughafenzaun stattfindet, sondern dass die umgebenden Bestandskieze mit einbezogen werden. Die Menschen, die jetzt schon hier leben, müssen einen direkten Vorteil davon haben. Das bezieht sich z.B. auf mehr Sport- und Freizeitflächen, die gut erreichbar sein müssen. Als Grüne fordern wir ein neues Kombi-Schwimmbad für Reinickendorf-West auf dem TXL Gelände, unser Bezirk ist in dieser Hinsicht unterversorgt.

Und den möglichen Verdrängungstendenzen muss frühzeitig und konsequent entgegengewirkt werden. Niemand soll sich vor Verdrängung fürchten müssen!

Stimme der Hauptstadt: Durch das Thema sichere Schulwege sind Sie zur kommunalen Verkehrspolitik gekommen. Was ist Ihnen als Landesvorsitzender des Verkehrsclub VCD wichtig?

Heiner von Marschall: Die Diskussionen über die nötige Mobilitätswende werden oft von Aktivisten, meist Männern, zwischen 20 und 40 Jahren bestimmt. Ihr Beitrag ist auch wichtig, damit sich etwas ändert!

Als VCD ist uns wichtig auch an die zu denken, die ihre Bedürfnisse weniger vehement vertreten können. Gerade die schwächeren Verkehrsteilnehmer, Kinder, Ältere und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, brauchen besonderen Schutz. Denn sie sind überproportional häufig die Opfer von auch tödlichen Verkehrsunfällen. Wir fordern die #VisionZero: Keine Toten und Schwerverletzten mehr im Straßenverkehr!

Ein Fahrradweg ist dann sicher, wenn alle Eltern ihr siebenjähriges Kind dort alleine zur Schule fahren lassen! Auch Kinder haben ein Recht, sich sicher und unbedrängt in unserer Stadt bewegen zu können. Das ist auch wichtig für die Entwicklung von Kindern zur Selbständigkeit, eben nicht mehr von den Eltern überall hin gefahren zu werden, sondern ihre Wege selbst bewältigen zu können.

Das andere ist, den Umweltverbund aus ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr wirklich zusammen zu denken und nicht gegeneinander auszuspielen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal: Als VCD vertreten wir nicht eine bestimmte Verkehrsart, sondern setzen uns für ein gutes Miteinander ein. Ich finde es betrüblich, wenn einzelne Fußverkehrs-Lobbyisten vor der „fahrradfreundlichen Stadt“ warnen. Gegenüber der „autogerechten Stadt“ wäre das ein großer Fortschritt für mehr Verkehrssicherheit, auch für den Fußverkehr.

Derzeit entstehen Konflikte zwischen Fahrrad und Fußverkehr vor allem, wenn sie zu dicht zusammengedrängt werden, weil der Autoverkehr die gesamten Straßenflächen einnimmt. Dann fahren Radfahrer, die sich zwischen den Autos unsicher fühlen, auf dem Gehweg. Wo es dagegen sichere Radverkehrsanlagen gibt, gibt es auch kaum noch Konflikte mit dem Fußverkehr. Dafür muss der Autoverkehr Flächen abgeben. Als VCD nennen wir das „Straßen für Menschen zurückerobern“.

Auch in Reinickendorf müssen wir endlich beginnen, die „autogerechte Stadt“ zur „menschengerechten Stadt“ umzubauen.

Stimme der Hauptstadt: Vielen Dank für das Gespräch.

(Stimme der Hauptstadt / Text: Gaby Bär / Foto: VCD  und Gaby Bär)

Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin