Falko Liecke – nachgefragt zum Buch „BRENNPUNKT DEUTSCHLAND“
Falko Liecke ist seit 2009 Bezirksstadtrat in Neukölln. Zunächst für Bürgerdienste und Gesundheit, dann für Jugend und Gesundheit und seit 2021 für Soziales. Lange Jahre war er stellvertretender Bezirksbürgermeister des Berliner Bezirks.
Mit „Brennpunkt Deutschland“ legt er nun sein erstes Buch vor. Wir sprachen darüber mit dem Autor Falko Liecke.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Sie waren bis Ende 2021 Gesundheitsstadtrat von Neukölln. Mitten in der Pandemie haben Sie ein Buch geschrieben. Waren Sie nicht ausgelastet?
Falko Liecke: Oh doch. Die Zeit seit März 2020 war die intensivste meines gesamten politischen Lebens. Das Pensum eines Bezirksstadtrates ist ohnehin hoch, zumal mit den beiden großen Ämtern Jugend und Gesundheit in einer Abteilung. Aber ich kann mich an keinen Zeitraum in meinen 12 Jahren als Stadtrat erinnern, der über so lange Zeit so arbeitsreich und fordernd war. Ich war täglich, fast stündlich, im Austausch mit meinem Amtsarzt und den Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt. Jeder Tag stellte neue Herausforderungen, vieles haben wir zum ersten Mal gemacht. Und zu der Arbeitsbelastung kamen ja auch noch genau die gleichen Anstrengungen, die jeder von uns im privaten Umfeld hatte. Das kann man dann auch nur mit toller familiärer Unterstützung stemmen. Ich war also gut ausgelastet und hätte so ein Projekt wie das Buch auch nicht alleine stemmen können. Das ging nur zusammen mit einem guten Freund, der genauso viel in das Vorhaben gesteckt hat wie ich.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Was Sie auf 288 Seiten beschreiben, ist sehr vielfältig, sehr detailliert. Können Sie uns erklären, wie so ein Buch entsteht?
Falko Liecke: Sowohl ich als auch mein Co-Autor haben den Vorteil, seit vielen Jahren ganz nah dran zu sein. Wir stehen mitten im Stoff und mussten nur das aufschreiben, was wir erlebt haben. Was da in dem Buch steht, ist so passiert. Da ist nichts ausgedacht, beschönigt oder übertrieben. Und was für einen Neuköllner vielleicht irgendwie alltäglich wird, können Menschen aus anderen Teilen des Landes gar nicht fassen. Ich glaube, es ist eine Stärke des Buches, dass es die kleinen Neuköllner Geschichten erzählt und daraus aber Schlüsse für das große Ganze zulässt.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Geben Sie uns ein Beispiel!
Falko Liecke: Da sind die sechs Mütter im Elterncafé im sozialen Brennpunkt, von der jede eine andere Sprache spricht. Die aus einer Welt kommen, in der Unterdrückung durch den Mann alltägliche Normalität ist und gar nicht mehr hinterfragt wird. Der Besuch im Elterncafé macht jetzt zwei Dinge mit ihnen. Erstens: hier müssen sie Deutsch sprechen, weil die deutsche Sprache der kleinste gemeinsame Nenner ist. Und zweitens: sie erfahren hier ganz langsam von bisher gänzlich unbekannten Dingen wie Gleichberechtigung, sexueller Selbstbestimmung und dass Frauen auch Rechte haben, auch „Nein“ sagen dürfen. Sowas arbeitet in ihnen. Wenn es sein muss, über Jahre. Und das ist jeden Euro wert.
Sie werden im Verlauf des Buches aber auch grundsätzlich Clankriminalität, Drogen, Extremismus „von allen Seiten“, wie Sie es nennen, kennenlernen.
Das Schöne an Neukölln ist: die Themen springen Ihnen jeden Tag ins Gesicht. Mit dem gesundheitspolitischen Blick auf die seit Jahren rapide steigenden Klinikaufenthalte nach Cannabiskonsum kann ich bei der Ankündigung der Bundesregierung, die Droge breit verfügbar zu machen, nur den Kopf schütteln.
Ich würde mir da manchmal etwas mehr kommunalpolitischen Pragmatismus in der großen Politik wünschen.
Die Clans betrachte ich seit vielen Jahren aus der Sicht des Jugendstadtrates mit großer Sorge. Es ist mir unerklärlich, wie die Berliner Landesregierung da seit Jahren einfach nur zusehen kann. Die Fragestellung, ob Kinder aus kriminellen Clans besonders gefährdet sind, habe ich am Ende mit einer eigenen Expertengruppe bearbeitet. Vom Senat kam da keinerlei Interesse.
Und eine der größten Gefahren für unsere demokratische Gesellschaft wird vom Senat sogar gestützt: der politische Islam sickert nach und nach in Politik, Medien und Verwaltung ein. Und während manche sich für ihre vermeintliche Toleranz feiern, verhelfen sie damit einer durch und durch intoleranten Ideologie zu noch mehr Deutungshoheit und gesellschaftlicher Macht.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Der Prototyp des Neukölln-Buches stammt von Heinz Buschkowsky. Mit „Neukölln ist überall“ fachte er eine landesweite Debatte an. Müssen Sie sich daran messen lassen?
Falko Liecke: Ich habe „Neukölln ist überall“ sehr gerne gelesen. Heinz Buschkowsky, mit dem ich noch immer einen guten Kontakt habe und mir oft Rat hole, hat die Neuköllner Realität ohne Hand vor dem Mund geschildert. Daran knüpfe ich an. Ich war schon immer ein Freund der klaren Sprache. „Brennpunkt Deutschland“ geht aber über die Zustandsbeschreibung hinaus. Für jedes Problem,
bietet es Lösungen an. Wenn das Buch zu einer echten Debatte führt, wäre das schon ein toller Erfolg, weil nur die Debatte auch die Chance auf Veränderung bietet.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Klare Sprache will nicht jeder hören. Sind Sie gewappnet für allerlei Vorwürfe, die auf Sie niedergehen könnten?
Falko Liecke: Ich wurde so ziemlich aus jedem politischen Lager schon angefeindet. Von Rechtsextremisten, von Linken, von Querdenkern, Lobbyisten und Islamisten. Ich kann damit umgehen, sonst hätte ich das mit dem Buch sein lassen. Wenn mich mal wieder jemand einen „Rassisten“ nennt, weil ich Probleme offen anspreche, frage ich meist „wie kommen Sie darauf?“. In der Regel kommt dann keine Antwort. Auf sachliche Kritik freue ich mich aber, daran kann man ja nur wachsen.
STIMME-DER-HAUPTSTADT: Vielen Dank für das Gespräch.
Hinweis: Das Buch „Brennpunkt Deutschland“ vom Autor Falko Liecke ist im Quadriga Verlag zu Köln im Februar 2022 erschienen.Im Deutschen Buchhandel kostet es 20,00 Euro. ISBN: 978-3-86995-117-1
Text: Michael Königs/ Fotos: Annette Hauschild/OSTKREUZ/Michael Königs