Den Krieg beenden! Sofort! Jetzt!
Ilona Stinskaja hat polnische-ukrainische Wurzeln. Sie ist verheiratet und Mutter zweier kleiner Kinder, die beide noch nicht im schulpflichtigen Alter sind. Am S-Bahnhof Charlottenburg führt sie das Schnellrestaurant Russia. Am Wannsee ist sie für ein kleines Hotel mit 20 Zimmern verantwortlich.
Den Namen des sehr gut besuchten Restaurants gibt es bereits seit vielen Jahren. Im Pressegespräch berichtete Ilona Stinskaja: „Einige Gäste, darunter auch viele Stammgäste, fragten mich, ob ich den Namen umändern möchte. Russia ist ja seit dem Angriff auf die Ukraine nicht der allerbeste Name“. Die Gastronomin erklärte: „Leider gab es auch Bedrohungen und Beschimpfungen von Einzelnen.
Diese Leute haben nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ich stamme aus der Ukraine. Mein Vater kommt aus der Ukraine, meine Mutter stammt aus Polen. Der Name Russia ist eingetragen bei Behörden in Berlin. Man kann gar nicht so über Nacht mal schnell ein Restaurant umbenennen. Gesetzliche Vorschriften sprechen dagegen. Warum sollte ich es denn tun? Darf man jetzt nicht mehr Königsberger Klopse sagen? Königsberg/Kaliningrad ist seit 1945 Bestandteil der UdSSR gewesen und gehört seit dem Zerfall der Sowjetunion zu Russland. Mit dem Namen Russia für mein Restaurant ist die Verbindung zur Küche der ehemaligen Sowjetunion, ja auch zum ehemaligen Zarenreich Russland, nur hergestellt. Plow als Bestandteil der usbekischen Küche, Borschtsch als ukrainische Spezialität, Pelmeni als russische Köstlichkeit, schmackhafte Weine aus Georgien“. Das es friedlich zugehen kann, egal woher man stammt, stellen die Mitarbeiter von Russia unter Beweis. „In unserem Restaurant und im Hotel stehen friedfertige Menschen aus Russland, der Ukraine, aus Tschetschenien, aus Armenien und aus Georgien am Kochherd oder arbeiten als Restaurantfachkraft oder als Rezeptionist. Niemand dieser Kolleginnen und Kollegen hat Verständnis für den russischen Angriffskrieg. Man lehnt den Krieg entschieden ab. Man sagt einstimmig: „Beendet den Krieg! Sofort! Jetzt!“ Jeder befürchtet, seine Verwandten könnten zu Schaden kommen, sei es als Soldaten in russischen oder ukrainischen Uniformen oder als Zivilisten. Man kann sich ja vorstellen, was einem Mann passieren wird, der sich weigert, am Krieg teilzunehmen. Sei es auf der einen oder auf der anderen Seite“. Ilona Stinskaja kann auch berichten: „Die Ablehnung dieses verabscheuungswürdigen Krieges betrifft nicht nur meine Mitarbeiter, es ist auch so, dass meine Lieferanten diesen Krieg nicht gutheißen und ihn schnellstens beendet sehen wollen.
Wir bekommen Lebensmittel und Zutaten beispielsweise von einem Unternehmen, dass auf den Import von Produkten aus Russland spezialisiert ist. Da ist es wie bei uns im Restaurant und im Hotel: Der Buchhalter bei diesem Lieferanten kommt ursprünglich aus der Ukraine, die zwei Mitarbeiter in der Bestellabteilung stammen aus Russland, die mich beliefernden Fahrer bzw. die Eltern sind in Ländern zur Welt gekommen, die heute die unabhängigen Staaten Kasachstan, Tadschikistan und Lettland sind. Geschäftlich sind wir seit vielen Jahren bekannt und reden auch sehr viel über aktuelle Ereignisse. Ich habe noch niemanden kennenlernen müssen bei der breiten Palette von Mitarbeitern, Kunden und Geschäftsfreunden, die für diesen schrecklichen Angriffskrieg auch nur einen einzigen Funken Sympathie empfinden! Das Gegenteil ist der Fall! Zahlreiche Menschen, die russische Wurzeln haben, tragen ein Halstuch oder einen Anstecker in den Nationalfarben gelb-blau der ukrainischen Staatsflagge“. Die Gastronomin hat ja ein bisschen Verständnis dafür, wenn der ein oder andere Gast bei ihr am Restaurant nachfragt, warum das Lokal ausgerechnet Russia heißt? „Mit dem Namen ist doch keine Haltung verbunden! In der Karl-Marx-Allee gibt es seit Jahrzehnten das bekannte Cafe Moskau. Muss sich das „Gorki Theater“ umbenennen, weil dieser so großartige und geachtete Schriftsteller in Russland zur Welt gekommen ist und auch in Russland verstorben ist? Muss der Bezirk Reinickendorf jetzt in Tegel die Gorkistraße umbenennen? Da wir gerade Reinickendorf erwähnt haben: Dort ist der Russisch-Orthodoxe Friedhof anzufinden. Leider musste ich diesen Friedhof schon mehrfach betreten! Freunde und Bekannte sind dort beigesetzt worden und ich war einer der Trauergäste. Soll man jetzt das Wort „Russisch“ aus dem Namen wegradieren?“
Ilona Stinskaja erklärte mit Tränen in den Augen: „Ich musste in meinem Leben an Beerdigungen teilnehmen. Es war aber glücklicherweise immer so, bei allem Respekt gegenüber diesen verstorbenen und mir am Herzen liegenden Menschen: Alle hatten mit Hilfe Gottes ein Alter erreicht, wo man damit rechnen muss, zu seinem Schöpfer zurückkehren zu dürfen. Ich bin Mutter von zwei kleinen Kindern. Welche Mutter möchte erleben, wie ihre Kinder in einem sinnlosen Krieg ums Leben kommen? Keine Mutter auf dieser Welt will das erleben! Ich kann hier nicht sehr viel tun, um Frieden zu schaffen. Wir helfen, wo wir nur können! In unserem Hotel am Wannsee sind Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht. Bei aller Bescheidenheit möchte ich zum Ausdruck bringen: Wir kassieren weder von den Gästen noch von staatlicher Stelle dafür Geld. Wir übernehmen privat diese Kosten“.
Am Ende des Gesprächs teilte sie noch mit: „Meine Großeltern haben den Zweiten Weltkrieg erleben müssen als Bürger Polens und der UdSSR. Ich habe meine beiden Opas und Omas seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges am Telefon immer nur weinend gehört. Sie fühlen sich in die schreckliche Zeit des Hitler-Terrors versetzt. Alle meine Verwandten und Bekannten und wir hier in den beiden Unternehmen sehnen uns so sehr nach Frieden“.
Text: Volker Neef
Foto: Frank Pfuhl