Es gibt Leute die behaupten, mit Kurzfilmen könnte man kein Massenpublikum in die Kinos bringen.
Clermont-Ferrand in Frankreich beweist seit Jahren, dass dies eine Legende ist. Hier werden während der 10-tägigen Festivalzeit des größten Kurzfilmfestivals weltweit über 160.000 Tickets gezählt. Hunderte junge Talente sind eingeladen, um ihre Filme persönlich vorzustellen und zu diskutieren
Im Filmmarkt treffen sich Kurzfilmenthusiasten, Festivalleiter, Institutionsrepräsentanten, Verleiher und Produzenten aus aller Welt, um sich über den Stand der Dinge in der Kurzfilmwelt zu informieren. Internationale Projekte werden geschmiedet. Journalisten aus aller Welt runden das Bild ab. Etwa 4.000 Professionelle sind am Ort. Ein Teil von ihnen hat mit eigenen Mitteln die Reise organisiert.
Natürlich ist dieses Kulturphänomen die Frucht Jahrzehnte langer Arbeit, die eine verschlafene relativ kleine Stadt in ein Zentrum der Weltkultur transformiert hat. Diese Arbeit beginnt in den Schulen, zuweilen noch früher, um Schüler anzuleiten, Filmsprachen zu verstehen und zu diskutieren. Gleichzeitig bieten ihnen Kurzfilme die Gelegenheit, einzutauchen in die unterschiedlichsten Realitäten unserer aktuellen Gesellschaften und dies in einer Differenziertheit, die große und öffentliche Medien ihnen wohl kaum offerieren.
Als Ergebnis dieser anhaltenden Arbeit sieht man dann selbst zu früher morgendlicher Stunde, zuweilen in Schnee und Regen, Menschen Schlange stehen, um die Programme zu sichten. Und dies an 11 Spielstätten. Mit anderen Worten, die ganze Stadt ist auf den Beinen. Es sind Menschen aller Altersschichten, oft mit Block und Stift versehen, um sich Notizen zu machen. Das Festival hat nämlich nicht versäumt, viele Jurys zu bilden, motiviert, ihre Preise zu vergeben.
Wie nebenbei wird den Zuschauern auch klar, wie viel breiter, verspielter, risikoreicher die Kurzfilmwelt, verglichen mit dem Spielfilm, ist. Der Spielfilm muss viel mehr Produktionsmittel aufbringen, und das Geld muss wieder eingespielt werden. Dies geschieht meist durch das Abspielen der gleichen Patterns, sowohl in der Themenwahl als auch in der ästhetischen Gestaltung, „Special Effects“ eingeschlossen. Kurz, man sieht hier eine kreative Vitalität sich gegen eine Kompromisstechnologie behaupten, die schon mit der Überprüfung des Drehbuchs in Hinsicht auf mögliche Einspielquoten beginnt. Ein Kurzfilm dagegen kann mit Bildern, Tönen und Sounds beginnen, Farben und Strukturen, um sich zu entfalten. Und dies macht einen Film gerade zu einem Film, entgegen einer bloßen bebilderten Erzählung.
Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass finanziell Gewinnstrategien in den letzten Jahren auch immer mehr in die Kurzfilmszene eingedrungen sind. Auch hier sind immer mehr Profitinteressierte auf den Plan getreten, die nicht an der Möglichkeit der Film-Präsentation selbst interessiert sind, sondern an dessen Profitabwurf. Dies führt oft zu einem Interessenkonflikt zwischen Filmemachern, die ihre Filme schlicht zeigen möchten, und Verleihern, die ihnen diese Möglichkeit nicht geben, wenn kein Geld fließt. Leider hofieren auch große Festivals letztere Gruppe tendenziell immer mehr. Festivals, die nur Filme zeigen wollen, ohne Kommerzialisierungsinteressen, werden immer mehr an den Rand gedrängt. Die Filmemacher haben oftmals die Rechte an ihren eigenen Filmen an die Verleiher abgetreten und können nur noch als Zaungäste zusehen, was mit ihren Filmen geschieht… oder nicht geschieht. Über versäumte Chancen werden sie zuweilen nicht einmal informiert.
Festzuhalten bleibt: Kurzfilme können sich mitunter meditativ auf Details einlassen oder Geschwindigkeit vorgeben, die kaum mehr erfassbar sind. Hier ist eigentlich alles möglich. Der Kurzfilm ist für eine auf permanente Variation und Speed abgedrillte Jugend das angemessene Medium. Keiner der an einer Programmschau teilnehmenden Zuschauer kann absehen, wie der nächste Kurzfilm aussehen wird. Die Spannung wird permanent gehalten.
Text: Dieter Wieczorek
Fotos: Presse-Kit; DiWi,