Das Kreuz mit dem Kreuz
Im Freistaat Bayern wollten einige Eltern Anfangs der 1990er-Jahre keine Kruzifixe mehr in den Klassenzimmern sehen.
Bevor man im Wirtshaus am Stammtisch ein „Fass gegen den Islam aufmacht“, dem sei gesagt: Es waren biodeutsche Eltern mit spiritueller und esoterischer Weltanschauung, die das Kreuz als Teufelswerk angesehen hatten.
Die Bayerische Volksschulordnung von 1983 sollte nach ihrem Willen für verfassungswidrig erklärt werden. Die Richter sahen die sogenannte negative Glaubensfreiheit nach Prüfung der Gesetzeslage tatsächlich für verletzt an. Das Gericht wies daraufhin, dass der Staat nicht nur eine religiöse Neutralitätspflicht aus der Verfassung habe; vielmehr könne er sich nicht selbst auf Religionsfreiheit oder eine bestimmte Weltanschauung berufen.
Begründet wurde dies u. a. damit, ein Staat gehöre ja prinzipiell keiner Religion an. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ging in die Rechtsgeschichte als „Kruzifix-Beschluss“ ein. In den Medien ist er auch sehr oft als „das Kruzifix-Urteil“ betitelt worden.
Das Bundesverfassungsgericht sprach das „Kruzifix-Urteil“ am 16. Mai 1995, heute vor 28 Jahren, aus.
Text: Volker Neef
Foto: Frank Pfuhl