Bayreuther Festspiele und die Wiederaufnahme von „Tannhäuser“ von Richard Wagner
Spektakuläre Inszenierung von Tobias Kratzer des „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ scheint in Bayreuth angekommen.
Der gefeierte Minnesänger Tannhäuser ist schon seit Jahren von der Wartburg verschwunden und lebt ein Vagabundenleben mit Venus und ihrem Gefolge. Der Venusberg ist nach den Vorstellungen von Regisseur Tobias Kratzer ein Vorkriegsoldtimer-Bus von Citroen und die bunte Truppe lässt sich so beschreiben: Tannhäuser (ausdrucksvoll und stimmgewaltig Stephen Gould) im Clownkostüm mit roter Perücke mit Venus (quirlig mit fordernder Stimme Ekaterina Gubanova) ein Schickimicki Blondinchen im sexy schwarz-glänzendem Einteiler. Dazu Oskar – gekleidet wie Oskar Matzerath mit rot-weißer Blechtrommel (Vorlage Günther Grass) – der mit drei Jahren beschloß mit dem Wachsen aufzuhören, wird glänzend gespielt von Manni Laudenbach. Zum Publikumsliebling avanciert Kyle Patrick als schriller Le Gateau Chocolat der mit viel Energie, Leichtigkeit und schrillen Outfits ein ständiger Begleiter der Handlung und ein Botschafter der LGBTQ-Bewegung ist.
Schon während der Quvertüre wird Vieles durch Videoeinspielungen erzählt. Die bunte Truppe ist mit dem Oldtimer unterwegs. Doch die Harmonie dieses bunten Quartetts bekommt eine große Delle, als Venus nach einem Benzindiebstahl einen Wachmann rücksichtslos niederfährt. Hier finden die Zuschauer den Grund, warum Tannhäuser dieses Leben so nicht mehr führen will und sie bittet, ihn gehen zu lassen. Als er sogar die heilige Maria anruft, wirft ihn die Göttin aus ihrem Reich.
Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle Katharina Konradi in der Rolle des jungen Hirten. Es ist nur eine kleine Rolle, deren Aufgabe es ist den Tannhäuser zum Ort des weiteren Geschehens zu geleiten. Konradi singt mit einer klaren angenehmen Stimme und erzeugt viel Präsenz. Wir werden hoffentlich noch mehr von ihr hören.
Grundsätzlich bieten alle vier Hauptfiguren eine glänzende sängerische Darstellung an und werden zu recht bejubelt. Auch als Schauspieler sind die Künstler sehr aktiv und das erleichtert die Aufnahme und das Verständnis der Oper.
Das Festspielhaus als Ort der Handlung im Festspielhaus
War der Auftakt schon sehr bunt und unterhaltsam, merken die Zuschauer jetzt, dass sie langsam Teil der Inszenierung werden. Tannhäuser nähert sich dem Ort des Sängerwettstreits. Es ist der grüne Hügel und das Festspielhaus originalgetreu nachgebaut. Sogar die Skulpturen des dirigierenden Wagner – eine Kunstaktion von Ottmar Hörl – stehen im Park. Der Chor in Abendgarderobe flaniert gerade ins Festspielhaus um der Aufführung beizuwohnen. Genau das hat das reale Publikum vor einer guten halben Stunde selbst getan.
Investigative Reality-TV-Show in der Oper.
Der zweite Akt handelt vom Sängerwettstreit und spielt als Show auf einer Bühne, die mit einem leuchtenden Rahmen im Kino-Breitwandformat eingefasst ist. Also die Show in der Show. Ergänzt wird die Handlung mit Video-Live-Übertragungen von dem Handeln der SängerInnen und des Chores hinter der Bühne. Sie sind über der realen Handlung in Schwarz/Weiß projiziert. Es verschmelzen die auf der Bühne dargestellt Charaktere mit den Reality-TV-ähnlichen Handlungen der DarstellerInnen, die als dann echte Menschen Ihre Gefühle auf der Bühne spielen und Backstage dann zeigen. Sogar die Inspizientin schickt die Künstler auf die Bühne und tritt dann bei einem kleinen – geskripteten – Notfall selber auf die Bühne. Beide Handlungen verschmelzen und das Publikum mittendrin. Dieses Konzept beantwortet ganz leicht die Frage: Machen Videoeinspielungen bei Live-Opern einen Sinn? Wenn diese, so wie sie hier eingesetzt sind, eine Bedeutung bekommen, eine zweite voyeuristische Perspektive bilden und sich der Bruch zwischen Realität und Illusion aufhebt, dann sicherlich.
So mischt auch Venus mit ihrem Gefolge mit und verschafft sich Zutritt zur „Live-Produktion“ indem sie mittels Leiter über den Balkon einsteigt. Vorher wird noch ein Banner befestigt. Auch hier hat gerade eben das Publikum die Gänge und Treppenhäuser benutzt und nun findet die Handlung hier statt. Venus nimmt nun selber verkleidet als Zuschauerin an der Veranstaltung auf der Bühne, dem Sängerwettstreit teil. Es kommt wie es kommen muss: Tannhäuser verrät sich und seine Liaison mit Venus. Die Liebe Elisabeths, die sich so gefreut hatte, ist dahin. Hier erleben wir eine starke und lyrische Elisabeth, die überragend von Lise Davidsen gesungen wird.
Katharina Wagner als Side-Kick
Eine originelle Szene wird durch die Chefin der Festspiele Katharina Wagner selber ausgelöst. Im Schwarz/Weiß-Video beobachtet sie den Trubel und ruft die Polizei. Die macht sich als Projektion dann auch auf den Weg. Als schließlich der Eklat durch die Reue und die angekündigte Wallfahrt nach Rom beendet ist, stürmen sechs „echte“ Polizisten die Bühne und führen Tannhäuser in Handschellen ab.Le Gateau Chocolat setzt noch eine Manifestation für die LGBTQ-Bewegung indem er die wunderbare Harfe mit der Regenbogenfahne der LGBTQ-Bewegung verhüllt und beendet damit den 2. Akt.
Tritt das Publikum dann in der Pause nach dem 2. Akt ins Freie, wird es wieder zum Teil der Inszenierung. Am Portal lehnt die Leiter zum Außenbalkon und das Banner hängt, auf dem zu lesen ist:
Frei im Wollen,
frei im Thun,
frei im Genießen. R.W.
Wenn die Romantik zum Drama wird
Nach wieder einmal langer Zeit kehren die Pilger von Rom zurück. Nur Elisabeth kann Tannhäuser nicht finden. Enttäuscht meint sie Wolfram (Markus Eiche glänzt als abgewiesener Liebhaber) im Clown-Kostüm Tannhäusers als ihren gesuchten Geliebten zu erkennen und gibt sich ihm hin. Doch die Täuschung fällt auf und daran wird sie sterben. Als Tannhäuser später doch Wolfram sein Schicksal schildert und die Reise nach Rom vergeblich war, ist alles zu spät.
Die romantische Oper verkehrt sich zu einer dramatischen Oper. Elisabeth wird tot auf dem Schoß Tannhäusers drapiert, der aber lebt. Kein wieder grünender Stab des Papstes, keine Andacht, kein Gebet sondern graue Leere, desolate Verwüstung und tiefe Trauer umhüllt von dem opulenten Gesang des Chores und den gewaltigen Schlussakkorden, die ganz sicher den einen oder anderen Schauer über den Rücken wert sind.
Fotos: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath und Joachim Skambraks Text: Joachim Skambraks / Stimme der Hauptstadt Redaktion München