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Menschen mit Spuren und ihre Wege durch die Krise Folge 31: Gregor Netzer 

Gregor Netzer, Foto: Joachim Skambraks 

Gregor Netzer ist Künstler und schafft Nekrographien. Ausserdem veranstaltet und organisiert er Ausstellungen und verlegt Kunstbücher. Als Initiator des Kunstautomat Landsberg erreicht er eine große Öffentlichkeit. 

https://gregors.net/

http://einpaarkuenstler.de/

mailto:ein-paar-kuenstler@gmx.de

MMS: Wie hinterlässt du aus deiner Sicht Spuren? 

Gregor Netzer: Ich glaube, ich hinterlasse Spuren auf der einen Seite einfach als Mensch. Ich bin ja auch Katholik und glaube, wir Menschen sind da, weil der liebe Gott uns einfach hier hin gesetzt hat und gesagt hat, wir sollen irgendwas machen. Und: Ich hoffe natürlich auch mit meiner Kunst Spuren zu hinterlassen. Kunst soll uns zum Nachdenken anregen, wie wir uns anderen Lebewesen, von mir sehr gerne Viecher genannt, gegenüber verhalten (der Mensch ist ja auch ein Viech), und, wie wir uns unserer Umwelt gegenüber verhalten. 

MMS: Du hast eine spezielle Kunsttechnik weiterentwickelt. Nekrographie, wenn ich das richtig ausspreche. Was ist das in zwei Sätzen? 

Gregor Netzer: Ich habe sie gar nicht selber entwickelt. Es ist eine uralte Technik, was ich allerdings nicht wusste. Deswegen musste ich dieses Kunstwort erfinden: Nekrographie, das ist das Einzige, was ich daran erfunden habe. Es sind direkte Abdrücke von toten Tieren: Das fängt bei Fischen an und geht über die Wildsau bis zum Reh oder Lamm. 

MMS: Was tust du da genau? 

Gregor Netzer: Dieses Tier, das ja gestorben ist, ist ein Lebensmittel, das auf einem Tisch liegt. Auf dieses Lebensmittel lege ich ein Papier. Auf dem Papier drücken sich verschiedene Körperflüssigkeiten von diesem Tier ab. Anschließend wird das abgezogen und es kommt Graphit darauf. Das sind ziemliche Unmengen und man kann anschließend im Atelier ziemlich gut Tango tanzen. Wenn man das Graphit wieder abschüttelt, bleibt das Graphit genau dort haften, wo das Tier vorher gelegen hat. Es ist also ein direkter Abdruck, und es stellt sich natürlich die Frage: Wir kennen meistens dieses berühmte Vera Icon (Schweißtuch der Veronika mit dem Gesichtsabdruck Christi). Wer macht dann eigentlich die Kunst? Bin ich das als Künstler oder hat die Kunst dieses Tier als Objekt eben selber erschaffen? Das finde ich auch für mich als eine Auseinandersetzung. Es geht in meiner Kunst auch immer ums Essen. Diese Tiere werden komplett verwertet und wirklich von der Nasenspitze bis zur Zehe: Es werden sogar die Knochen ausgekocht. Es geht um diesen Respekt und die Anerkennung des Lebensmittels, das in dem Moment vor uns liegt. 

MMS: Künstler haben während der Pandemie und Corona Zeit, meiner Meinung nach, besonders viel zu leiden gehabt. Wie ist es dir privat oder wirtschaftlich gegangen? 

Gregor Netzer: Ich würde das Wort Leiden gar nicht benutzen: Leiden ist das falsche Wort. Es ist immer noch eine unglaublich schwierige Zeit. Mit dem Wirtschaftlichen, dem Finanziellen können wir gleich anfangen. Das ist ganz einfach abgehakt: Seit zwei Jahren arbeitslos. Unser Konzept, Kunst zu verkaufen, war es Ausstellungen zu machen, und auf diesen Ausstellungen Bilder zu verkaufen. Dazu gehört auch eine Vernissage. Man muss das Publikum haben und auch die Möglichkeiten, Publikum zu gewinnen. Das Publikum will betreut werden und du sollst mit dem Publikum reden. Das ist ausgefallen. Es gibt viele Künstler, die Kunst auch anders verkaufen können. Es gibt die inzwischen wunderbare Möglichkeit, Kunst auch digital zu verkaufen. Das ist nicht für alle Künstler möglich. Bei uns sehe ich das so: Meine Kunst, zum Beispiel, muss durchaus am Objekt direkt gesehen werden. Sie braucht auf der anderen Seite auch viel Storytelling und ist erklärungsbedürftig. 

Gregor Netzer, Foto: Joachim Skambraks 

MMS: Du bist ein eher positiv denkender Mensch. Welche Denkweisen, Methoden oder Techniken haben dir geholfen ein bisschen besser durch diese Zeit zu kommen? 

Gregor Netzer: Da muss ich dich ganz furchtbar enttäuschen, um ehrlich zu sein. Ich fand diese ganze Zeit wirklich furchtbar. Sie hat mich sehr belastet. Als politischer Mensch hat mich diese Zeit auch mit ihren politischen Auswirkungen sehr belastet. Ich würde der Corona-Krise so gerne etwas Positives abgewinnen. Je mehr ich in mir selber danach suche, ich finde es nicht. Es war unglaublich schwierig, sich als Künstler in dieser Zeit zu motivieren. Es war unglaublich schwierig, überhaupt kreativ tätig zu werden. Ich kenne sehr wenige Künstler, denen das gelungen ist. 

MMS: Wie haben Kunst, Kultur, Musik, Literatur oder Theater ein wenig geholfen, besser durch die Zeit zu kommen? 

Gregor Netzer: Also richtig guter Jazz hilft immer. Ich habe da nicht wirklich so einen großen Unterschied festgestellt. Was ich gemerkt habe, ich habe mich wesentlich mehr mit dem Internet beschäftigt. Ich habe hier Kunstformen entdeckt, die ich vorher so vielleicht nicht kannte, und die ich vorher vernachlässigt habe. Gerade im Bereich digitaler Kunst. Etwas, was mich sehr fasziniert hat, waren zum Beispiel die Videoclips zu Musik, die gerade in den 80er und 90er Jahren und in den frühen 2000er Jahren entstanden sind.. Die sind an mir als Kultur wirklich vorbei gegangen. Ich muss gestehen, da habe ich sehr sehr schöne Sachen entdeckt. Das hat mir wirklich geholfen. Geholfen hat mir auch die viele Kommunikation über das Netz. 

MMS: Pandemie und Stillstand haben auch die Chance, dass eine Innovation, vielleicht auch eine Art von Transformation entstehen. Was ist da bei dir passiert? 

Gregor Netzer: Da ist eine ganze Menge passiert. Da haben sich neue Felder aufgetan. Im Moment liegt eben das eigentliche Ausstellen gerade brach. Ich stand eine Zeit lang de facto vor der Entscheidung, mache ich überhaupt mit Kunst weiter? Oder mache ich etwas ganz anderes? Jetzt gibt es die Suche zu neuen Kommunikationsformen. Wir haben auf der einen Seite mit meiner Kollegin zwei Bücher gemacht. Was sehr schön ist. Es ist einfach ein anderer Weg. Jetzt ist eine Podcast Reihe geplant, um damit auch über Kunst zu reden und Kunst zu vermitteln. Mir fehlt in dieser Krise unglaublich die persönliche Ansprache. Sich mit anderen Leuten einfach über Kunst auseinanderzusetzen, ist mir ganz wichtig. Da gibt es vielleicht die Möglichkeit, noch mal was anzustoßen. Sozusagen können wir jetzt über Kunst reden und hoffentlich wieder zu einer Zeit finden, in der das auch wieder mit Ausstellungen, hoffentlich vor Ort, passieren kann. Ich würde es mir wünschen. Und: Ich bin jedem dankbar, der sich impfen lässt. 

MMS: Lieber Gregor, vielen Dank für die ehrlichen Antworten eines engagierten Künstlers. 

Fotos und Interview: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt.Berlin, Redaktion München 

Ein großer Dank geht an den Künstler, der uns sehr freundlich die Nekrographie „Steinbutt“ zur Verfügung gestellt hat. 

Hier finden Sie den Link zum Video: 

Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin