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Der populistische Moment- Buchbesprechung

Foto: JF-Edition

Der populistische Moment- Buchbesprechung

Alain de Benoist kam 1943 in Frankreich zur Welt. Er studierte Philosophie, Soziologie, Moral, Geschichte und Verfassungsrecht sowie Religion an der Sorbonne in Paris.

Als Herausgeber einer Zeitung und Journalist, Autor sowie Philosoph machte sich Alain de Benoist einen Namen. Vielfach wird der Franzose als Vordenker der Neuen Rechten bezeichnet. Das trifft zu, wenn man sich sein bisheriges Tun anschaut, man muss es jedoch mit einem großen ABER versehen. Nachweislich hat er für Buchverlage und Zeitungen geschrieben, die man am rechten Ufer angesiedelt vorfindet. Der NPD-nahen Zeitschrift „Hier und Jetzt“ gab er 2010 ein Interview. Darin brachte er zum Ausdruck, er fühle sich bedroht. Bedroht dahingehend, dass unsere westliche Kultur und europäischen Sprachen wie Deutsch und Französisch von einer immer größer um sich greifenden englischen Sprache, die aber nicht aus Old England, sondern aus den USA stammt, im hiesigen Alltagsbereich verdrängt werden. Der Autor machte nicht, wie man es von einem klassischen Rechten ja erwarten würde, gegen Einwanderer aus Afrika und Nahost, vornehmlich aus islamisch geprägten Staaten, Stimmung. Vor westeuropäischen Großstädten, die eine Infrastruktur wie „Istanbul oder Tunis“ aufweisen könnten, sähe er „unsere Identität nicht bedroht“. Sorgen bereite ihm, dass westeuropäische Städte bald an den aktuellen Zustand von Los Angeles oder New York erinnern würden. Ob er das Chicago zu Zeiten von Al Capone vergessen hatte zu erwähnen in diesem Interview oder ob er als kultiviert erzogener Schüler und Student von Eliteschulen und der Eliteuniversität Sorbonne nicht zu sehr verbal zuschlagen wollte, kann heute nicht mehr geklärt werden. Alain de Benoist fühlt sich vom politischen Universalismus bedroht. Letztendlich führe dies dazu, dass Lebensstile dieser Art „die Erde in einen homogenen Raum verwandeln“. Das große ABER kann fortgesetzt werden bei diesem Autor! Ja, er schreibt durchaus für Medien, die Rechts angesiedelt sind und gibt dort Interviews. Es muss erwähnt werden: Die der NEUEN LINKEN in den USA zugerechnete Zeitschrift TELOS gab er nicht nur zahlreiche Interviews! Er schreibt in der Zeitschrift TELOS auch Artikel. Der Philosoph, Autor, Journalist breitet die Arme des Werktätigen nachweislich nach Links und Rechts aus und legt sie auf zwei unterschiedliche Schultern. Er sprach einmal davon, dass er bei Linken als auch bei Rechten gute Ideen vorfindet, die seinem Denken entsprechen. Als der Irak 2003 von den USA angegriffen worden ist, nannte er das eine große, schreckliche Aggression.

In der JF-Edition zu Berlin ist kürzlich sein Werk „Der populistische Moment“ erschienen. Das Werk umfasst 407 Seiten. 

Der Schriftsteller spricht hier an, dass die althergebrachte politische Klasse kaum mehr ein Problem löst. Sie zeigt auch keinen Weg zur Überwindung der vielfältigen Krisen auf, sondern trägt offenbar vielmehr zu ihnen bei. Das Volk hat lange geglaubt, dass sich die Verhältnisse mit einem Regierungswechsel verbessern würden. Inzwischen glaubt es das nicht mehr, seitdem es festgestellt hat, dass die ehemaligen Großparteien, die noch gestern vorgaben, frontal gegeneinander zu opponieren, nichts mehr voneinander unterscheidet. Die Enttäuschung darüber begünstigte die Protestwahl und den Populismus. Die populistischen Parteien waren nämlich die ersten, die eine Veränderung in den politischen und sozialen Forderungen wahrnahmen, die die traditionellen Parteien nicht begreifen, weil sie mental in Gewohnheiten und Denkmustern gefangen sind, die ihnen dies verbieten. 

Diese Thesen kann man ja als Leser hinterfragen. Alain de Benoist weist beispielsweise daraufhin, dass es auch namhafte seriöse Stimmen gab und gibt, die von einem weltweiten Staatsstreich sprechen bei der Globalisierung. Souveräne Staaten haben ihre Macht an den Internationalen Währungsfonds (IWF) abgetreten. 

Die Wahlergebnisse für Vertreter des Volkes und die Wahlbeteiligung machen nicht nur französischen politisch Verantwortlichen Kopfschmerzen. Der Autor verweist auf das Jahr 1988. Im Wahlkampf in seinem Heimatland standen sich Francois Mitterrand und Jacques Chirac gegenüber. Zusammen kamen sie auf über 54 Prozent der Stimmen. 2002 bei den Wahlen kamen Jacques Chirac und Lionel Jospin auf fast 36 Prozent bei der Addition. Wir in Deutschland kennen solche Zahlen bei mancher Wahl zum Amt des Oberbürgermeisters! 25 Prozent der Wahlberechtigten nehmen daran teil. Im ersten Wahlgang erhält keiner der Kandidaten eine Mehrheit von über 50 Prozent. Bei der dann zwei Wochen später stattgefundenen Wahl, dem 2. Wahlgang, kam einer der 2 verbliebenen Kandidaten auf rund 52 Prozent der Stimmen. 25 Prozent der Bevölkerung gingen also zur Wahl. Nehmen wir an, die Stadt hat 120.000 wahlberechtigte Bürger. Es gingen 30.000 Bewohner an die Wahlurnen. Also haben 15.600 Bürger diesen Kandidaten einer 120.000 Einwohner umfassenden deutschen Großstadt, die auch als Universitätsstadt bekannt ist, das Stadtoberhaupt ins Amt befördert. Man kann es auch so ausdrücken: Von 120.000 Wahlberechtigten haben 104.400 Bürger das Stadtoberhaupt nicht gewählt.

Wenn Alain de Benoist auch anspricht, dass es klassische Parteien von einst gar nicht mehr gibt in vielen Staaten, kann man ihm ja nicht vorwerfen, er verbreitet da Lügen. Aus Italien seien als Beispiele genannt: Die DC; die katholisch geprägte Democrazia Cristiana und die KPI. Die Kommunistische Partei Italiens und die DC sind heute in Rom und Bozen sowie auf Sizilien und an anderen Orten in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die rechtsstehende Partei „Movimento 5 Stelle“, bei uns als „Fünf-Sterne-Bewegung“ bekannt, stellte von 2016 bis 2021 mit Virginia Elena Raggi sogar die Oberbürgermeisterin von Rom.

Zwei linke Parteien in Spanien, die PSOE und die PP, nahmen an Bedeutung sehr stark ab. Eine neue Partei, die sich als Links ebenfalls versteht, nahm enormen Zulauf. Es ist dies die Podemos. 

Der Autor vergisst auch nicht, die USA zu erwähnen. Was einst als undenkbar erschien, wurde Wirklichkeit im Lande, wo man „vom Tellerwäscher zum Millionär“ aufsteigen kann. Bernie Sanders von der Demokratischen Partei kritisierte stark den raffgierigen Wall Street-Kapitalismus und konnte sich in 22 Bundesstaaten innerparteilich durchsetzen. Allerdings kam die Gegenkandidatin Hillary Clinton auf 28 gewonnene Bundesstaaten. Der Sieger der Wahlen von 2017, Donald Trump, kam laut Alain de Benoist zu großer Popularität, weil er als Anti-Reagan aufgetreten ist. Immerhin war der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan Mitglied der Republikanischen Partei, so wie Donald Trump es ist.

Man muss ja nicht jede Aussage, jede These des Philosophen, Autors, Verlegers, Journalisten Alain de Benoist mit Beifall quittieren! Es ist ja schon genüge getan, der Leser macht sich, stark nachdenkend, selber seinen eigenen Reim darauf. Die Philosophie, die Aufklärung gelten ja als europäische Errungenschaften und Werte. Es heißt doch bei dem 1641 erschienen Werk des französischen Philosophen Rene Descartes „Cogito ergo sum“. Dieses „Ich denke, also bin ich“ wird 

vielleicht Alain de Benoist schon zufriedenstellen! Zwei französische Philosophen bringen deutsche Leser zum Nachdenken!

Da Alain de Benoist nicht aktiv in der Politik verankert ist und sich nicht um ein Amt bewirbt, sei es als Präsident oder Wahlkreisabgeordneter, kann das ja zutreffen. Er braucht keine Zustimmung von künftigen Wählern! Die Bescheidenheit gehört ja auch zum Wertekanon des westlichen Europas. 

Das Werk „Der populistische Moment“ von Alain de Benoist ist eine JF-Edition. Im deutschen Buchhandel kostet das Werk 24,90 Euro. ISBN 978-3-929886-80-1 (Text: Volker Neef/Foto: JF-Edition)

Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin