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In Liebe, eure Hilde-Berlinale 2024

Ein unbeschwerter Moment im Sommer. Hans (Johannes Hegemann) und Hilde (Liv Lisa Fries) (© Foto: Frederic Batier, Copyright: Pandora Film)

In Liebe, eure Hilde-Berlinale 2024

Bei der 74. Berlinale lief im Wettbewerb der deutsche Spielfilm „In Liebe, eure Hilde“. Andreas Dresen ist der Regisseur des 124 -minütigen Films. Dresens neuer Film erzählt eine tragische Geschichte aus der NS-Zeit.

Die Uraufführung erfolgte im Rahmen der Berlinale, der Kinostart ist für Mitte Oktober geplant.

Bei der Berlinale ist der 1963 geborene Regisseur kein Unbekannter. So liefen beispielsweise seine Spielfilme „Als wir träumten“ (2015) und „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (2022) ebenfalls in der Sparte Wettbewerb bei der Berlinale.

Dresens neuster Film spielt in der Reichhauptstadt Berlin im Sommer 1942. Das Deutsche Reich befindet sich in einem zwei Fronten-Krieg. Bereits im Juni 1941 überfiel das faschistische Deutschland die UdSSR.

Die 1909 geborene junge Zahnarzthelferin Hilde (Liv Lisa Fries) hat Kontakt mit hochrangigen Widerstandskämpfern. Dazu zählen u. a. der 1916 geborene Hans Coppi, Hildes späterer Ehemann und Vater ihres einzigen Kindes, dem Hans Junior. Der 1903 geborene Evangelische Gefängnispfarrer Hartmut Poelchau (Alexander Scheer) sowie der 1909 geborene Oberleutnant Harro Schulze-Boysen (Nico Ehrentreit) zählen ebenfalls zu den hochrangigen Widerstandskämpfern.

Mit Flugblättern will die Gruppe Widerstand leisten. Hans Coppi (Johannes Hegemann) gilt in der Widerstandsgruppe als führender Kopf. Per Funk sendet er geheime Informationen nach Moskau. Für die Schergen des 3. Reiches waren es „Rote Kapellen“. Die Farbe rot stand für den Kommunismus, Kapelle (im Sinne von Orchester) stand für Funker. Hilde ist 1942 schwanger. Im November kommt das Kind zur Welt. Hans und Hilde verbringen einen unbeschwerten Sommer an einem See im Berliner Umland. Das Idyll am See findet ein schnelles Ende. Die Gestapo verhaftet das Ehepaar und zahlreiche ihrer Freunde. Hans und Hilde werden zum Tode verurteilt. Vater Hans darf nur ein einziges Mal für wenige Minuten seinen Sohn in den Händen halten.

Hans Coppi (Johannes Hegemann ) darf seinen neugeborenen Sohn zum ersten und einzigen Mal sehen (© Pan(© Pandora Film/ Foto: Frederic Batier)

Andreas Dresen betonte auf der Berlinale-Pressekonferenz, er habe keine Nazi-Schreihälse zeigen wollen. Im Gegensatz zum Präsidenten des Volksgerichtshofes, Dr. Roland Freisler, schreien die am Prozess gegen Hans und Hilde Coppi beteiligten Richter niemanden an. Beinahe schon Milde fragt ein Richter: „Was hat Sie, Frau Coppi, nur angetrieben, ihren Mann zu unterstützen?“ Hilde sagt: „Ich liebe meinen Mann doch“. Der Richter betont, es sei „sehr schön, wenn eine deutsche Frau ihren Mann liebt. Das soll ja auch so sein. Wenn es aber gegen Führer, Volk und Vaterland geht, dürfen Sie Ihren Mann nicht weiterhin unterstützen“. 

Im Gefängnis ist die NS-treue Hebamme (Fritzi Haberlandt) tätig. Sie ist sehr froh darüber, dass eine ausgebildete Zahnarzthelferin auf der Krankenstation mitarbeitet. Sie riskiert ihre Funktion, weil sie sehr oft Hilde gewährt, mit anderen Gefangenen Gespräche zu führen. 

In einem persönlichen Schreiben an „meinen geliebten Führer“ bittet sie um Begnadigung für Hilde. Hilde brachte einen gesunden Sohn zur Welt. (Anm.: Das Schreiben der Hebamme ist keine Erfindung der Filmemacher. Es entspricht den Tatsachen!) Im Beisein von Hilde öffnet die Hebamme den Antwortbrief aus der Reichskanzlei. Es liegt das an „meinen geliebten Führer“ Schreiben drin. Am Briefrand hat Hitler eigenmächtig vermerkt: „Abgelehnt!“.

Am Tag der Hinrichtung stehen die zum Tode verurteilten Frauen in Reih und Glied in der Strafanstalt. Jede einzelne Frau wird zu den am Tisch sitzenden 3 Richtern geführt. Auch hier zeigt Dresen keine Richter, die die Todeskandidaten verhöhnen oder anschreien. Mit ruhig-sachlicher Stimme eröffnet der Vorsitzende Richter Hilde, dass ihre Begnadigung abgelehnt worden ist. Seine Schlussworte sind: „Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes“. Am 5. August 1943 richtete das NS-Regime Hilde Coppi in der Strafanstalt Berlin-Plötzensee per Fallbeil hin. Ihr Gatte Hans wurde bereits im Dezember 1942 hingerichtet.

Es war verboten, dass zum Tode Verurteilte einen Abschiedsbrief schreiben durften. Pfarrer Hartmut Poelchau umgeht das Verbot auf seine Weise. Hilde diktiert ihm den an ihre Mutter gerichteten Abschiedsbrief. Der Gefängnispfarrer schreibt Wort für Wort in sein Notizbuch auf und verfasst später den Brief. Er endet mit den Worten „In Liebe, Eure Hilde“.

Dresen betonte auf der Pressekonferenz, es gab Leute im Dritten Reich, die sogar freundlich und human mit den Gefangenen umgingen, so wie die Hebamme. Ebenso die am Prozess beteiligten Richter, die sich wohltuend von den Schreiattacken des Volksgerichtshofpräsidenten Freisler abgesetzt hatten. Der Vorsitzende Richter, der kurz vor der Hinrichtung von Hilde beinahe entschuldigend betont, ihm seien nun die Hände gebunden und das Urteil müsse vollstreckt werden.

Dresen wies daraufhin, ein Regime wie das 3. Reich habe auch nur existieren können, weil zu wenige aufgestanden seien gegen das Unrecht. Über 50 Mitglieder der „Roten Kapelle“ ließen die Nazis hinrichten.

Bei der Filmpremiere in Berlin war Hans Coppi Junior Ehrengast. Der mittlerweile 81Jährige rief zusammen mit anderen Angehörigen von Widerstandskämpfern dazu auf, „aus der Geschichte zu lernen und die Demokratie zu stärken“.

Das gehört auch zur deutschen Geschichte: Der Diplomat Hartmut Schulze-Boysen (u.a. Stellvertretender Botschafter in Japan, Generalkonsul in Sao Paulo, Brasilien) kämpfte jahrzehntelang gegen die deutsche Justiz. Er wollte das Unrechtsurteil gegen seinen Bruder Hans aufheben lassen. Am 24. Februar 2006, 63 Jahre nach der Hinrichtung von Hans Coppi, hob die Staatsanwaltschaft Berlin das Urteil des Reichskriegsgerichts auf. 

Bewiesen ist auch: Von 1952 bis 1954 sammelte das Bundesamt für Verfassungsschutz eifrig Materialen über Hartmut Coppi. Die Logik war: Wenn Hans Kommunist gewesen ist, wird es sein Bruder Hartmut doch auch sein.

Der Film „In Liebe, Eure Hilde“ zeigt, wie Menschen sich erheben gegen ein Regime, selbst wenn es das eigene Leben kostet. Das nur ganz, ganz wenige Funksprüche überhaupt nach Moskau letztendlich gelangt sind (es waren technische Probleme vorhanden) mindert den Widerstand nicht.

Andreas Dresen sprach davon: „Zumindest hat man versucht, sich dem NS-Regime zu widersetzen“. Das es nicht zum Ziel geführt hat, ist traurig, aber der Widerstandskämpfer hat sein Bestes getan.

Wenn im Oktober der Spielfilm in den Kinos anläuft, kann man das Leben des heldenhaften Ehepaares Hans und Hilde Coppi eindringlich mitverfolgen.

Text: Volker-Taher Neef

 (© Foto: Frederic Batier, Copyright: Pandora Film)