Martin Scorsese hat Szenen geschaffen, die sich ins kollektive Unbewusste eingeschrieben haben. „
„Are you talking to me“ aus „Taxi Driver“ ist nur eine unter ihnen. Diese Szene komprimieren komplexe Problemfelder in einer einzigen Bildsequenz-Ikone. In diesem Fall das Ressentiment und der Ruf nach Rache all deren, die alltäglicher Gewalt ausgeliefert sind.
Sein letzter Film „Killers of the Flower Moon“, in Cannes uraufgeführt, erntete bereits höchstes Lob. Sowie die „New York Times“, als auch der „New Yorker“, gefolgt vom „New York Film Critics Circle“ setzten sein Werk auf Platz 1 der besten Filme des Jahres 2023.
Folgen wir diesem 206 Minuten langen Film mit dokumentarischem Hintergrund, wird vielleicht nicht jeder diesem Euphemismus beistimmen können. Doch diese Länge dieses 200 Millionen USD Budget schweren Panoramas hält die Spannung. Zumeist geschieht dies durch eine Vielzahl von Nebenstorys, die fast alle tödlich enden. Man kann den Film als eine brillante Aneinanderreihung von Morden lesen.
Der Fadenzieher ist ein smarter, anerkannter und spendenfroher Bürger, der eiskalt seine Geschäfte im Auge behält. Robert de Niro verkörpert überzeugend diese meisterhafte Kunst der Manipulation, die sich hinter einem väterlichen Lächeln verbirgt. Leonardo DiCaprio in der Rolle seines Neffen ist eines seiner Opfer. Schauspielerisch hervorzuheben ist DiCaprio Leistung, glaubhaft einen Mann zu verkörpern, der seine Frau wirklich liebt und sie zugleich langsam zu Tode bringt.
Doch Scorsese hätte sich wohl kaum nur deshalb auf ein solch gigantisches Projekt einzulassen. Der historische Hintergrund dieser Mordserie ist der Plan, das Kapital einer indianischen Familie in die Hände des weißen Grundbesitzer zu spielen. Auftragsmörder kommen ins Bild, die keine Skrupel haben, handelt es sich als Opfer um Indianer. Platziert ist Scorseses Werk 1919 in Oklahoma. Doch tritt er in eigener Person am Ende seiner nicht fiktiven Sozialtragödie vor die Kamera, um das Schicksal der letzten überlebenden Indianerin dieser Familie zu erzählen. Deutlich wird hier, dass juristische und administrative Fehlentscheidungen sich bis heute fortschreiben.
Martin Scorsese ist ebenfalls bekannt für seinen Einsatz für das Film-Welterbe. Die von ihm geleitete „Film Foundation“ setzt sich unermüdlich für Restaurierungsarbeiten ein. Konsequenterweise zeigt die Berlinale aus Anlass des Ehrenbären auch eine Reihe seiner Schlüsselwerke, wie den unglaublichen Konzertfilm „Shine a Light“ über die Rolling Stones. 2008 eröffnete er die Berlinale.
Die Preisverleihung findet am 20. Februar 2024 im Berlinale Palast statt.
Text: Dieter Wieczorek
Foto: © Brigitte Lacombe