KZ-Überlebende Margot Friedländer besuchte Reinickendorfer Gymnasium
Margot Friedländer kam 1921 in Berlin-Kreuzberg in einer jüdischen Familie zur Welt.
Die Nazis haben ihre Eltern und ihren Bruder im KZ ermordet. In 16 verschiedenen Verstecken fand sie bis zur Verhaftung 1944 Unterschlupf.
Im KZ Theresienstadt lernte sie ihren Ehemann kennen. Ein Rabbiner traute heimlich das Paar. Nach den Gräueln der NS-Zeit übersiedelte sie mit ihrem Gatten in die USA. Der Ehemann verstarb 1997. 2003 kam Margot Friedländer auf Einladung des Berliner Senats für ein paar Tage in ihre Geburtsstadt. Seit 2010 lebt sie wieder in Berlin, als deutsche Staatsbürgerin.
Über ihr Leben verfasste sie das Buch „Versuche, dein Leben zu machen-Als Jüdin versteckt in Berlin“.
Am 9. Juni besuchte die Überlebende des Holocausts im Europäischen Gymnasium Bertha-von-Suttner in Berlin-Reinickendorf Schülerinnen und Schüler. Den Termin organisiert hatte die direkt gewählte Reinickendorfer Bundestagsabgeordnete Prof. Monika Grütters (CDU).
Die Bundestagsabgeordnete betonte: „Es ist mir wichtig, dass wir helfen, die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für eine weltoffene Demokratie und eine tolerante Gesellschaft weiterzutragen. Ich bin sehr dankbar, dass Margot Friedländer noch ein weiteres Zeitzeugengespräch in einer Schule führt und blicke hoffnungsvoll auf diese wertvolle Begegnung mit der Zeitzeugin. Diese Gespräche stärken das Fundament unserer Gesellschaft. Das ist mir sehr wichtig.“
Margot Friedländer las aus ihrer Autobiographie „Versuche, dein Leben zu machen“ und im Anschluss sprach sie mit Schülerinnen und Schülern des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums und beantwortete Fragen.
Margot Friedländer erklärte ihre Beweggründe zur Übernahme von solchen Terminen: „Das Gefühl, etwas mit jungen Menschen machen zu können, gibt mir Leben. Besonders junge Menschen müssen sich darüber klar werden, was in Deutschland geschehen ist. Sie haben ihr Leben noch vor sich, sie müssen begreifen, was es heißt, Mensch zu sein. Damit so etwas Unmenschliches nie wieder passiert.“
Schulleiterin Anke Junge-Ehmke erlebt es sicherlich nicht alle Tage, dass alle Schülerinnen und Schüler so mucksmäuschenstill sich verhalten. Man hätte während der Ausführungen von Margot Friedländer die berühmte Stecknadel, die auf den Fußboden der Aula gefallen ist, hören können. Die KZ-Überlebende ist heute noch den wenigen Menschen dankbar, die sie damals versteckt und versorgt hatten. „Es hätte sie ihren Kopf gekostet, wenn man sie erwischt hätte“. Sie musste auch berichten, wie ihr Vater den braunen Terror nicht wahrhaben wollte 1933 bei der Machtergreifung. Er kam mit dem Eisernen Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Sein Bruder und sein Schwager waren an der Front gefallen. Erst als 1938 die sogenannte Reichskristallnacht stattgefunden hatte, nahm der Vater den menschenverachtenden Hass der Nazis wahr und ernst und suchte nach Fluchtmöglichkeiten.
Margot Friedländer konnte auch mitteilen, dass die deutsch-jüdischen Auswanderer in den USA bei gemeinsamen Treffen nie über die NS-Zeit gesprochen haben. Jeder hatte im Dritten Reich Familienangehörige im KZ verloren. Gespräche darüber hätten alte Wunden aufgerissen. „Mein Mann, ich, unsere aus Deutschland stammenden Freunde und Bekannten sprachen den Holocaust nie an. Es war doch klar, es war doch offensichtlich, jeder hatte ermordete Familienangehörige zu beklagen“.
Die Schülerschaft war sehr dankbar, eine so kompetente Zeitzeugin begrüßen zu dürfen. Die vor den angehenden Abiturienten sprechende Margot Friedländer ist knapp 83 Jahre älter als die Schüler. Ihr Rat an die Anwesenden war: „Seid Menschen, seid gut. Ihr habt es in Euren Händen“.
Eines ist leider nicht zu leugnen: So tapfere Helden und Zeitzeugen wie Margot Friedländer, die im November 102 Jahre alt wird, verlassen für immer die Bühne. Oder sie sind aufgrund ihres hohen Alters so geschwächt, dass sie keine Vorträge mehr halten können.
So sieht es auch die ehemalige Staatsministerin Monika Grütters: „Zeitzeugenberichte sind die wertvollsten Geschichtserlebnisse, kein Bericht in einem Lehrbuch kann solche persönliche Begegnung ersetzen!“ Nicht zuletzt prägen diese Auftritte auch das gemeinschaftliche Bild jüdischen Lebens in Berlin und Deutschland, denn das Erinnern an die Schoah wird aus unterschiedlichen Sichtweisen gespeist und bleibt eine immerwährende Verpflichtung und Herausforderung.
Margot Friedländer bekam von der mit ihr befreundeten Monika Grütters erneut ein großes Lob für ihren unermüdlichen Einsatz, auf die grausamen Verbrechen der Nazis als Zeitzeugin hinzuweisen.
Ein großes Lob erhielten auch die Schülerinnen und Schüler von der Reinickendorfer Bundestagsabgeordneten! „Es ist ein sonniger Freitagnachmittag. Während andere hitzefrei machen, kümmert Ihr Euch um Demokratie“.
Text: Volker Neef
Foto: RaNa